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Zeichen von Gott – Gerhard R. und das Brandenburger Nazitor (Teil 1)

Vor einigen Jahren wurde mir die Kopie eines Flugblatts zugespielt, das vermutlich aus der zweiten Hälfte der Neunziger stammt:

Das kann doch nur gut werden, oder?

Der Urheber ist ein Gerhard R. aus Worms, der, wie wir noch feststellen werden, sich bereits eine ganze Weile mit dieser Thematik beschäftigt. Das hat er mit Frau M. gemeinsam, deren Auseinandersetzung mit dem Paranormalen hier bereits Thema war. Anders als sie hat Gerhard R. aber anscheinend keine Angst vor irgendwas oder -wem, sondern ist einfach nur ziemlich sauer. Aber so richtig. Schon auf den ersten Zeilen seines Flugblatts, um jetzt allmählich mal zur Sache zu kommen:

(von mir als Verse gesetzt, aber ansonsten, wie natürlich auch alles Andere, wortwörtlich zitiert, bzw. gescannt)

Das klingt zwar wie der Pausenhallenhit einer pubertierenden EBM-Probekellerband, ist aber eine todernst gemeinte Weltuntergangsprophezeiung, denn:

Wie konnte es nur dazu kommen, und wieso hat mir mal wieder niemand rechtzeitig vorher Bescheid gesagt? Was weiß denn Herr R. dazu zu erzählen?

Ah, wir alle sind also Schuld, weil unsere Großeltern die AGVE-Juden auf dem Gewissen haben. Diese kreative und ja durchaus wohlmeinende Abkürzung ist ja schon ein kleines bisschen  verwerflich, oder? Würde sich wohl irgendwer beschweren, wenn ich ein gemeinnütziges Projekt zur Integration farbiger Mitbürger einrichte, und das dann „Negerhilfe“ nenne?

Gebaut wurde das Brandenburger Tor zwar zum Ende des nazifreien 18. Jahrhunderts, es lässt sich aber durchaus schlüssig argumentieren, dass die Nazis es ab 1933 für ihre Zwecke instrumentalisiert haben, und ja, es steht (heute noch) in Berlin. Dass das Tor maßgebend beteiligt war an einem deutschen Sieg im zweiten Weltkrieg ist hingegen eine Interpretation, der zu folgen ich mich nicht in der Lage sehe. Ich möchte nicht so weit gehen, zu behaupten, dass die mir bekannten Fakten Herrn R. widerlegen, beginne allerdings die Vermutung zu hegen, dass er und ich unterschiedliche Dimensionen bewohnen. Leider schießt er jetzt keine nähere Erklärung hinterher. Stattdessen gibt es rätselhafte Proklamationen, so was hier zum Beispiel:

oder

Und dann gibt er richtig Gas. Bitte anschnallen:

Diese Höllenphantasien, das muss man Herrn R. lassen, sind offenbar bis ins Letzte ausgetüftelt. Grade wenn er einen mit diesem Fantasykram eingelullt hat, wird’s dann aber aus heiterem Himmel und ohne jede Überleitung hemdsärmelig konkret:

Nochmal:

FrauM1

Es folgt die Angabe eines Spendenkontos „zur Vernichtung des Brandenburger Nazitors in Berlin“ („Kennwort PROPHET“). Der Mann meint es offensichtlich ernst. Aber er hat ja auch gute Gründe:

Wer von uns könnte behaupten, er hätte an Herrn R.s Stelle anders reagiert?

Das Flugblatt wimmelt nur so von solchen zitierfähigen Passagen, aber es bringt nicht viel, das ganze Kleingedruckte jetzt im Detail abzuarbeiten. Ähnlich wie bei Frau M. ist hier symptomatisch, dass sich ohne irgendeine Ordnung sehr viel in immer neuen Variationen wiederholt. Ich beschränke mich im Folgenden mal auf ein paar Glanzlichter:

Das mögen die Ädskranken eventuell anders sehen.

Dieses ominöse Feuerschwert steht isoliert; er geht weder vorher noch nachher noch mal darauf ein. Erstaunlich ist, wie die Weltkriegsschraube immer weiter angezogen wird. Redet Herr R. anfangs noch nur von einem dritten/vierten/fünften, dann kommen sukzessive ein paar dazu, bis er jetzt bei runden zehn angelangt ist (oder natürlich bei elfen, wenn man den ewigen Weltkrieg mitrechnet).

„Das Nazideutschland hat sich wiedervereinigt, die Natter und die Schlatter, Wessi und Ossi, die Weihnachtsgans und der Osterhase. (…) Die Siegesparty der BRD und DDR, am Brandenburger Nazitor hat Gott zum Teufel gemacht und weil der 2. Weltkrieg nicht gesühnt wurde. Erst recht nicht die agve Juden.“ – Gerhard R.; Foto-Vorlage: Wikipedia.

Anschließend bekommt die ganze Chose noch einen lokalen, rheinland-pfälzischen Anstrich:

Bzw.:

Ludwigshafen ist die Geburtsstadt von Helmut Kohl, für den Herr R. nicht viel übrig hat (wegen dessen Rolle bei der satanischen deutschen Wiedervereinigung, vermute ich), Mannheim liegt, für alle, die’s nicht wissen, direkt neben Ludwigshafen. Tja, mitgefangen, mitgehangen. In diesem Kontext würde ich vermuten, dass Herr R. mit der „schwarzen Zeit“ die 16jährige CDU-Regierung zwischen 1982 und ’98 meint.
Als Rausschmeißer noch das hier:

So sieht’s aus. Wer schon mal in Berlin war, ohne in der Gegenwart des verdammten Nazitors die Spitzhacke gezückt zu haben, hat sich bereits schuldig gemacht und kann sich zum Kriegsdienst in einem beliebigen der momentan laufenden Weltkriege melden.

„Das Brandenburger Nazitor ist vergleichbar mit dem verbotenen Apfelbaum. (…) Bundeskanzler Helmut Kohl war die dicke fette Schlange am verbotenen Apfelbaum, und hat die ganze Menschheit aus dem Paradies gebracht. (…) Selbst Präsident Clinton mit seiner Hillery (Adam und Eva) war am Nazitor und hat dort dem Satan gehuldigt.“ – Gerhard R.; Collage: Kai Krick.

Und jetzt reicht es. Eigentlich hätte ich, Wiederholungen hin oder her, das komplette, beidseitige Flugblatt zitieren können, aber mein gesunder Menschenrestverstand hat sich bereits jetzt zum Sterben hingelegt. Was mich beim Lesen irritiert hat (na ja… außer eigentlich sowieso allem, was Herr R. schreibt) ist, dass er, anders als andere religiöse Menschen mit Mitteilungsbedürfnis, nicht mit Bibelstellen um sich wirft und es in seinem Weltuntergangsszenario auch ansonsten wenige Bezüge zum Christentum gibt. Vertreibung aus dem Paradies, gelegentliche Erwähnung von Jesus, seltsamerweise in Kombination mit einem alttestamentarischen, strafenden Gott, Satan, Hölle und Apokalypse – das war’s eigentlich schon. Der Rest klingt eher wie eine kleinbürgerlich empörte Variante der Verse des Nostradamus – allerdings verzichtet Herr R., anders als sein berühmterer Vorgänger, weitgehend auf rätselhafte Allegorien und wird für einen Weltuntergangspropheten bemerkenswert präzise, bis hin zur Jahreszahl.

Größer als Jesus? Der Böse aus „The Scorpion King“ hat sogar ZWEI Feuerschwerter. (Bild: © Universal Pictures)

Nun ist aber das im Vorfeld (längst nicht nur von Herrn R.) hysterisch umschrieene Jahr 2000 bereits lange vorbei, und wir sind trotzdem noch da. Was hat Herr R. wohl zum Jahreswechsel 2000/2001 gemacht, dem letztmöglichen Zeitpunkt zum Eintritt seiner Prophezeiung? Hat er darauf gewartet, dass sich spätestens um Mitternacht ein Brandenburger Dimensionstor öffnet, aus dem dann Satan in einem von Kohl und Hitler gezogenen Zweispänner herausrollt, uns alle in Würmer verwandelt und zur Sonne schießt? Wie hat er dann gegen, sagen wir, halb eins reagiert, als er so langsam gemerkt haben muss, dass das nichts mehr wird mit dem Weltuntergang? Zuckt so jemand dann mit den Schultern, seufzt und sagt sich „Tja, da hab ich mich wohl die letzten zehn Jahre über geirrt. Schwamm drüber“?

Ach, Quatsch. Besser. Viel Besser. Weiter geht’s im zweiten Teil.



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10 Kommentare

1) Dr. Acula

2. Juli 2010, 19:44

Großartig! Die Analogie Mannheim/Gomorrha unterstütze ich allerdings aus- und nachdrücklich!

2) Gregor

2. Juli 2010, 21:55

Aber das möchte ich wirklich gerne wissen: Was macht so ein Weltuntergangsprophet, wenn die Welt, naja, nicht untergegangen ist?

3) Sebastian

13. Juli 2010, 14:40

Hm, ich habe das Gefühl, daß ich bereits mal auf der Webseite von dem Spinner (nicht du Lukas) war, ZVG.de, Zeichen-von-Gott.de, irgendsowas… randvoll mit blinkenden WEB 0.3 Grafiken animierten Pixelgifs etc… nun, ein kurzes googlen zeigt, der Mann spammt sich weiter durchs Netz, seine Seiten wurden aber wohl verboten.

4) Lukas

13. Juli 2010, 15:00

@Sebastian: Dieses „Irgendsowas“ wird Thema des zweiten Teils sein. Kommt im Laufe der Woche. 8)

5) Gerhard R

7. Mai 2011, 01:13

Hallo
Zeichen von Gott Der Messias kommt Wir haben den Weltuntergang
Ich bin wieder da. Hurra
mfg Gerhard R

6) Lukas

9. Mai 2011, 17:36

…und die Welt ward ein bunterer Ort. http://www.zeichen-von-gott.de ist in der Tat seit ca. drei Wochen wieder online (aber von der Identität des hier gepostet habenden Gerhard bin ich trotzdem nicht so hundertprozentig überzeugt).

7) Ursula Maria

6. Mai 2012, 19:33

06.05.12 Gerhard herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.Ich wünschte Du würdest Dich mehr um Deine Gesundheit kümmern und Dein Leben lebenswert machen. Wenn Dir die Zeichen von Gott so wichtig sind warum erkennst Du sie nicht für Dein Leben. Oder hast Du etwa erkannt, dass wenn Du so weiterlebst wie bisher geht die Welt unter aber nur für Dich. Ich denk oft an Dich und ganz besonders heute an unserem gemeinsamen Geburtstag. LG uzi

8) Drafi

16. Juni 2014, 15:48

Sehr willkürlich, dieser R. . . . Nein zu Kohl, Papst, Brandenburger Tor, Menschheit, Worms etc. Das einzige, was er gut zu finden scheint, ist das Judentum. R. wurde auch von „Deckname Denis“ für den Film Mondverschwörung interviewt. Die Szene wurde aber nicht in den Film aufgenommen.

LG Drafi

9) Lukas

17. Juni 2014, 09:48

@Drafi: Danke für die Info. Woher weißt Du davon?
Ich habe Deinen Beitrag hinsichtlich des vollständigen Namens von Gerhard R. editiert.

@Alle: Ich möchte euch darum bitten, die Anonymisierungen zu wahren, selbst wenn die Protagonisten mit ihren Daten um sich werfen als wären es Kamelle im Kölner Karneval.

10) Drafi

14. Dezember 2021, 11:04

@Lukas: Das Interview wurde auf Youtube gestellt, kommt aber nicht im Kinofilm vor.

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