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Zeichen von Gott – Gerhard R. und das Brandenburger Nazitor (Teil 2)

Fassen wir die Flugblattanalyse aus dem ersten Teil dieses Textes mal zusammen: Gerhard R. aus Worms ist nach eigener Auffassung ein gläubiger Christ, für den die Existenz von Gott und Teufel ausgemachte Sache ist. Er geht davon aus, dass sich hinter den Kulissen der sichtbaren Welt metaphysische Weltkriege abspielen, je nach Tagesform zwei bis neun gleichzeitig. Er glaubt, dass Holocaust und zweiter Weltkrieg nicht hinreichend gesühnt wurden, und dass uns deswegen im Jahr 2000 der Zorn Gottes und damit der Weltuntergang ins Haus steht (das Flugblatt stammt, wie gesagt, aus den 90er Jahren). Die einzige Möglichkeit, aus der Nummer glimpflich herauszukommen wäre die Zerstörung des Brandenburger Tors, das für ihn symbolisch aufgeladen ist, weil die Nazis es in den 30er Jahren für ihre Selbstinszenierungen instrumentalisierten. Wer dem Brandenburger Tor unkritisch begegnet, bete demnach automatisch den Teufel an. In der Praxis bedeutet dieser Glaube für Gerhard R., dass er Nationalismus verachtet, Nazis und Helmut Kohl hasst und die Absetzung des Papstes fordert. Es gibt unsympathischere Wahnsinnige.

Let’s webdesign as if it was 1995!

Ich habe dann irgendwann mal im Netz nach einigen der einprägsam seltsamen Phrasen aus seinem Flugblatt gesucht. „Jesus Christus ein Diamant“ z.B. ist grundsätzlich anscheinend keine Erfiindung von Herrn R.., die allegorische Deutung des Diamanten gibt es vielmehr schon im Christentum der Antike. Der Diamant, der von nichts geschnitten wird, aber seinerseits alles schneidet, wird da benutzt als Bild für Jesus Christus, der über alle richtet, seinerseits aber von niemandem gerichtet wird (ob diese theologische Tradition jetzt aber Herrn R.s restliche Ansichten plausibler macht, möge jeder für sich entscheiden). Außerdem stößt man beim Recherchieren momentan zum einen auf einen Foreneintrag, dem zufolge Herr R. noch bis mindestens März letzten Jahres aktiv war und seine Flugblätter verteilt hat. Und zum anderen und zuvorderst ist da das hier: www.zeichen-von-gott.de. Halali…

[Anm.: Ungefähr seit Mai ist die Adresse leider nicht mehr erreichbar – just ein paar Wochen vorher allerdings hatte sich einer von Gerhard R.s größten Fans die komplette Seite runtergespeichert.]

Was mich zuvorderst interessiert: Wie erklärt sich Herr R. denn, dass wir trotz angekündigtem Armageddon noch immer alle da sind?

Da! Wir selbst sind Schuld daran, dass es mit dem Weltuntergang zum Jahrtausendwechsel nicht so wirklich hingehauen hat. So eine Endzeitfehldiagnose ist aber kein Beinbruch und zum Beispiel auch den Zeugen Jehovas schon ein paar Mal unterlaufen (zuletzt noch 1975), dadurch sollte man sich also nicht den Spaß am Unheilverkünden nehmen lassen. Herr R. hat deswegen mittlerweile das Datum für die große Höllenfahrt stillschweigend auf 2022 geändert. Warum 2022? Ich vermute, dass er sich zunächst die auf jeden Fall mystischer klingende 2222 herausgepickt hatte, bis ihm dann klar geworden ist, dass weder er noch seine Adressaten dieses Jahr erleben würden, und seiner Botschaft damit jede Dringlichkeit gefehlt hätte. Zu unser aller Schutz und damit wir unsere Hintern hochkriegen hat er also die harte Faktenlage etwas zurechtgebogen. Was ein kleines Scheibchen bedenklicher ist, ist die damit einhergehende neue Formulierung:

Ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass sich das als Aufforderung interpretieren lässt, höchstselbst die Apokalypse einzuleiten. Kein Zweifel, Herr R. macht Ernst:





A dull boy. (Bild: © Warner Bros.)

Diese Inhalte kommentiere ich mal besser gar nicht erst und weise lieber auf die Wiederholungen hin, denn die sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Webseite sieht nach unendlich viel Inhalt aus, aber hier gilt noch viel mehr als beim Flugblatt, dass so gut wie alles ad nauseam durchgekaut wird. Selbst innerhalb der ellenlangen Startseite liest man immer und immer wieder die selben Sätze, allerdings immer mit kleinen Variationen. Mein Verdacht ist es deshalb, dass Herr R. nicht einfach ein paar mal über die Kopieren & Einfügen – Kombination seiner Tastatur gezittert ist, sondern dass er die Texte so wie sie da stehen heruntergeschrieben hat, wie eine springende Vinylplatte. All work and no play makes Jack a dull boy.

Entsprechend wäre es auch völlig sinnlos, die Textbrocken in irgendeiner Reihenfolge abzuarbeiten, weil dieser ganze Wust sowieso weder Anfang noch Ende hat. Stattdessen habe ich mal ein paar repräsentative Passagen herausgesucht, die uns aus dem Buch Gerhard bislang noch nicht überliefert wurden. Fangen wir mit was einigermaßen Handfestem an:

Endlich verhält sich Herr R. mal so, wie man es von einem Propheten erwartet! Das ist ein grundsolides Bibelzitat: Genesis, Kapitel 15, Vers 9. Bis auf das mit den sechs Weltkriegen natürlich.

„Abraham sah damals wie Fackeln zwischen den 6 Teilen der Tiere streiften. Das war der große Fackelzug am Brandenburger Tor mit seinen 6 Säulen“ – Gerhard R.; Foto-Vorlage: Wikipedia.

Laut Bibleserver.com spricht die Bibel (selbes Buch, selbes Kapitel) in Vers 17, je nach Übersetzung, von einer lodernden, flammenden oder brennenden Fackel, von einer Feuerfackel oder einer Feuerflamme, aber in keiner Übersetzung von mehreren Fackeln. Ich bin ein wenig enttäuscht darob, dass ausgerechnet Herr R. als religiöser Eiferer von Rang es offenbar nicht so genau mit dem Primärtext nimmt.

Diese vierhundert Jahre immerhin sind belegt, die kommen aus Vers 13:

(Luther-Übersetzung)

Warum es auf den Weltuntergang deutet, wenn wir vierhundert Jahre nach 1933 das Jahr 2333 schreiben, und nicht einfach auf die Grundsätze der Mathematik, ist mir nicht ganz klar. Zumindest hinsichtlich seiner bereits kurz auf dem Flugblatt behandelten Hitler-Vision leistet Herr R. aber endlich Aufklärung:

Und das mir jetzt keiner auf den Gedanken kommt, das alles nicht ernst nehmen zu müssen:

Da haben wir’s noch mal schriftlich. Wer jetzt noch zaudert hat sich die Hölle redlich verdient – womit wir bei einer ja nicht ganz unwichtigen Frage wären: was sind denn in diesem Kontext eigentlich die „Zeichen von Gott“, die uns den Garten Eden aufschließen sollen? Abgesehen davon, dass er das Brandenburger Tor plätten will (und das ist offenbar nicht mit „Zeichen von Gott“ gemeint), rückt Herr R. zu keinem Zeitpunkt mit einem großen Weltverbesserungsplan heraus. Wofür also das alles? Was will Herr R. von uns? Ohne Handlungsanleitung scheint das gesamte ZvG-Projekt (Webseite, Flugblätter, und, so mutmaße ich, wirres Gebrabbel in den Fahrzeugen des ÖPNVs von Worms) herzlich sinnlos zu sein. Wobei ich mir ehrlich gesagt nicht sicher bin, ob es mit einer solchen Anleitung wesentlich mehr Sinn ergäbe, aber das steht hier jetzt einfach mal nicht zur Debatte. Statt irgendein amtliches Weltuntergangsgelübde oder derlei von seinen Jüngern einzufordern, versorgt Herr R. sie lieber mit erbaulicher Lyrik:

Wenn das mal keine wertige Offenbahrung ist. Eine solche ganz anderer Art ist dagegen das Gästebuch der Seite. Das ist ziemlich kosmopolit – da finden sich Dutzende Beiträge aus Wien, Moskau, Rom oder Madrid und einem ganzen Stoß anderer Länder. Das Blöde ist nur: Alle Einträge wurden innerhalb von vier Tagen im Jahr 2008 geschrieben, und vor ausnahmslos jedem steht Gerhard R.s Emailadresse. Ich wollte zunächst nicht ausschließen, dass das authentische Einträge sind, die von Herrn R. aus dem Gästebuch einer vorherigen Inkarnation seiner Seite gerettet und dann neu gepostet wurden, aber wie wahrscheinlich ist das? Dass sich europaweit ein paar hundert Freaks fänden, die bereit wären, sich ernsthaft mit Herrn R.s Thesen zu beschäftigen, glaube ich sofort (dafür muss man nicht mal ins europäische Ausland, die findet man in jedem besseren bundesdeutschen Ballungsgebiet). Dass diese Europäer dann auch noch Deutsch sprächen und Herrn R.s Offenbarung wörtlich nachplapperten, strapaziert meine willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit doch merklich. Was diese Aktion soll, ist mir ein Rätsel. Da steht wirklich einfach nur noch mal das selbe Zeug, das schon überall auf der Seite verteilt ist. Wenn ich mit einem Rudel Sockenpuppen Betrieb auf meiner Seite vortäuschen wollte, dann würde ich doch Kommentare, Diskussionen oder sonstwas schreiben, und nicht noch mal den Inhalt der Page wiederkäuen. Eigentlich noch viel erstaunlicher ist, dass sich wirklich niemand eingetragen hat, der nicht Gerhard R. ist. Ich hab’s nicht ausprobiert, aber entweder hat er neue Einträge gesperrt, oder schlichtweg niemand außer mir kennt den guten Mann und seine Botschaft – oder niemand außer mir hat sich bislang mit seinem Werk auseinandergesetzt, und das wäre bedenklich, denn, um ihn noch ein letztes Mal zu zitieren:

Ich kann nunmehr guten Gewissens verkünden, dass ich meine Schuldigkeit getan habe. Jetzt liegt es an euch.




Ein Kommentar

1) Gregor

25. Juli 2010, 20:11

„Gerhard R. aus Worms ist nach eigener Auffassung ein gläubiger Christ, für den die Existenz von Gott und Teufel ausgemachte Sache ist. Er geht davon aus, dass sich hinter den Kulissen der sichtbaren Welt metaphysische Weltkriege abspielen, je nach Tagesform zwei bis neun gleichzeitig.“

So verrückt der Typ auch sein mag, zumindest ist seine Vorstellung von der Welt cooler als die langweilige Realität.
Niedliche Illustrationen von Dirk übrigens.

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