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Amateurfilm, du bequemer Clown! (Teil 5)

Bevor jemand meine ganze bisherige Litanei in den falschen Hals bekommen, sollte ich vielleicht noch etwas klarstellen: ich hab nichts gegen Amateurfilme. Im Gegenteil, wenn Leute all ihre Energie in einen Film ballern, einfach nur aus Jux und Dollerei und der Sache wegen, dann finde ich das super. Wenn sie Comedy, Trash und Parodien machen, sind sogar die Ergebnisse oft ziemlich gut.

Das liegt daran, dass sich Humor und Amateurfilme strukturell nicht unähnlich sind. Ich hatte schon geschrieben, dass Amateurfilmer in aller Regel nur ihre Vorbilder kopieren, also auf ihre Außenwelt reagieren. Humor funktioniert genauso, denn wenn jemand eine Stand-Up-Nummer über vakuumverpackte Erdnüsse auf Flugreisen macht, dann wäre es sogar kontraproduktiv, wenn er sich diese Erdnussverpackungen nur ausdenken würde. Auch Humor ist immer eine Reaktion auf eine Außenwelt. Hier gibt es also eine Schnittmenge zum Amateurfilm, und hier kann dieser deswegen glänzen, weil hier der Rahmen des Möglichen ideal ausgenutzt wird. Darüber hinaus spielt es bei Parodien keine Rolle mehr, wenn man ihnen schlechtes Handwerk und eine billige Machart ansieht. Die können ruhig „gemacht“ aussehen, weil das Publikum weiß, dass sie gemacht sind, dass sie eine direkte Reaktion sind auf etwas, das vorher da war. Sie sind wie ein an eine Rede anschließender Kommentar, bei dem es nicht darauf ankommt, ob der Kommentierende nun Punk oder Anzugträger ist, solange er gute Argumente hat. Gute Beispiele für so etwas sind Deadly ‚Nam, Operation Dance Sensation oder Fireproof Agent – das sind gute Filme (die im übrigen auch handwerklich nicht schlecht gemacht sind. Nur verweist halt ein Deadly ‚Nam zum Beispiel offensiv auf seine Künstlichkeit, wenn als Army-Hubschrauber ein VW-Bus herhalten muss). Ich mag die, die Szene mag die, aber leider hat keiner davon ein wirklich großes Publikum gefunden. Glaubt ihr nicht? Dann fragt mal eure Nicht-Amateurfilm-Freunde, ob sie einen davon kennen (und wenn sie keinen kennen, dann zeigt sie ihnen).

Was ich tendenziell nicht mag, ist alles, was nicht Comedy ist. Ich habe im letzten Teil verkündet, der deutsche Amateurfilm sei im Allgemeinen schlecht. Wir lassen ihn deswegen mal kurz links liegen und gucken uns stattdessen dieses vor drei Wochen veröffentlichte Video einiger amerikanischer Wonder-Woman-Fans an:

Ich hab Gänsehaut. Ich möchte heulen, so großartig ist das. Und ich will das verdammt noch mal in abendfüllender Länge sehen. Rainfall Films haben da einen Film gemacht, der meiner Definition eines Amateurfilms entspricht – man ist Fan von etwas, in diesem Fall Wonder Woman, einen guten Wonder-Woman-Film gibt es nicht, muss man also selbst machen, damit die Fans was haben, über das sie sich freuen können. Allerdings bin ich nicht nur kein Fan, sondern habe auch noch nie einen Wonder-Woman-Comic gelesen. Und trotzdem bin ich begeistert, nicht nur von den gelackten Bildern und Effekten, sondern vom perfekten Zusammenspiel von Musik, Schnitt, Ausstattung und souveräner Inszenierung. Mit anderen Worten: ich will nicht unbedingt einen Wonder-Woman-Film sehen, aber ich würde mir jederzeit einen von Regisseur Sam Balcomb und seinem Team ansehen. Oder irgendwas anderes von denen, völlig egal, auch wenn das dann nicht so schicke Monster hat. Interessiert mich nicht, ich sehe nur, dass da Leute mit einer Sackladung Know-how sind. Die sind so gut, dass sich mein Blick verschiebt, weg vom Gegenstand, der ihnen wichtig ist, hin zu dem Talent, mit dem sie ihn bearbeiten, und mehr noch: sie haben es auf diese Weise geschafft, mich wiederum für diesen Gegenstand zu interessieren.

Ist es fair, das mit deutschen Amateurfilmen zu vergleichen? Nein, verdammt! Oder? Balcomb ist nämlich durchaus ein Profi, dessen Firma Effekte für Britney-Spears-Videos und Weißderteufelwas liefert. Aber inwieweit sollte ihm das geholfen haben, mit diesem Clip innerhalb kürzester Zeit vier Millionen Zuschauer zu finden? Profis sind einige deutsche Amateurfilmer auch, Erfahrung sammeln sie alle, Kontakte haben sie, sogar Geld kann man in so einen Film stecken, wenn man einen halbwegs anständig bezahlten Job hat. Balcomb ist offenbar einfach nur besser als andere.

Dass man auch hierzulande mit aufwendigen Freizeitprojekten durchaus was reißen kann, wenn man nur gut genug ist, sieht man an Matrix XP von den Ricke Brothers:

Sieht eigentlich nicht so toll aus? Ist aber auch schon über zehn Jahre alt. Damals sind den Leuten die Kiefer runtergeklappt. Übrigens etwa 30 Millionen Views und Downloads, wenn ich mich richtig erinnere. Selbst ohne Franchise im Gepäck haben die Ricke Brothers punkten können. 2006 haben sie den Science-Fiction Deus In Machina hinterhergeschossen (lässt sich nicht einbetten, klickt das Bild an):

Bei 01:14 ist mein Auftritt als „Irgendein Typ, der den Hauptdarsteller anrempelt“. Kein Witz.

Von solchen Einzelfällen abgesehen hat der deutsche Amateurfilm nichts Vergleichbares zu bieten. Ja, es gibt die positiven Ausnahmen, vermehrt, wenn Leute Comedy machen, aber es gibt hierzulande keinen Amateur-Horrorfilm, der mich je erschreckt hätte, keinen Amateur-Splatterfilm, der mir je körperliches Unbehagen bereitet hätte, keinen Amateur-Thriller, bei dem ich mitgefiebert hätte, kein Amateur-Drama, das mich berührt hat, und so weiter. Der deutsche Amateurfilm schafft es so gut wie nie über die Hürde, jenseits der er nicht mehr als „gemacht“ wahrgenommen würde und man ihn als den Film gucken könnte, der er ist, und damit ist er für Menschen ohne Szene-Bezug tendenziell uninteressant. Anders als Clips wie der Wonder-Woman-Kurzfilm mit seinem Millionenpublikum hat er deshalb so gut wie nie nach außen gestrahlt. Die Szene ist hermetisch. Natürlich kam immer wieder Nachwuchs dazu, natürlich schafften hin und wieder Leute wie Mathias Dinter oder die Gosejohanns den Sprung in die Professionalität (und auch hier: Comedy-Macher), aber der Einfluss der in der Szene produzierten Werke geht gegen Null. Acht Jahre Youtube haben unsere Sehgewohnheiten stärker beeinflusst als fünfzig Jahre Amateurfilm, und ich meine mit Youtube-Videos nicht mal solche High-End-Effekt-Kurzfilme wie die obigen Werke. Mash-Ups, harte Jump-Cuts, Videospiel-Longplays und -Let’s-plays, Webisodes, Vlog- und Review-Formate, das alles ist eingeflossen in unser Verständnis des Mediums und dessen, was man damit machen kann (und wahrscheinlich könnte ich diese Aufzählung beliebig verlängern).

Die deutsche Amateurfilmszene dagegen hat es sich in ihrer Unterdurchschnittlichkeit und Unbeweglichkeit gemütlich eingerichtet, in einer Welt, in der es keinen Ehrgeiz gibt, sich handwerklich oder inhaltlich weiterzuentwickeln, weil die Filmemacher von ihresgleichen keine Kritik zu erwarten haben. Qualität, und zwar nicht gelegentliche Qualität, wenn Daniel Flügger und Dennis Klose mal wieder einen Kurzfilm gemacht haben, sondern durchgängig höhere Qualität, bräuchte den Blick von außen. Nur hab ich da anscheinend etwas falsch verstanden. Um noch mal Michael Valentin zu Wort kommen zu lassen:

Wie du schon geschrieben hast: in Berlin und Köln gibt’s viel mehr in der Richtung. Aber warum denn nicht mal mitten im Nirgendwo? Immerhin klappt’s ja seit neun Jahren und schwarze Zahlen sind auch drin.

Warum denn nicht mal ohne Publikum? Es klappt doch! Alle sind glücklich. Wo ist mein Problem? Ist mein Anspruchsdenken nicht vielleicht völlig überzogen? Muss denn jeder unbedingt hoch hinaus wollen, vom Filmemachen leben können, einen wichtigen Beitrag zur Kulturgeschichte der Menschheit leisten? Wenn jemand mit einer Klampfe auf der Wiese sitzt und Songs von David Bowie spielt – will der dann unbedingt ein Star werden und für ein Millionenpublikum singen? Wenn er das nicht will: muss man ihm dann das Recht absprechen, Freude am Auf-der-Wiese-Gitarre-Spielen haben zu dürfen? Braucht der deutsche Amateurfilm überhaupt Öffentlichkeit, Ambition, Ehrgeiz? Ja, verdammt, ja!

Mehr dazu im nun auch wirklich allerletzten Teil.




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