Ein virtueller Vergnügungspark mit Cartoons, Comics, altem Spielzeug, Genrefilmen und Texten über pixelige Videospiele, und über Verrückte.

Superchristen (Teil 5)

Es war eigentlich unausweichlich. Gut die Hälfte der Zeugnisse schräger Vögel, die ich über die Jahre zusammengesammelt habe, sind religiöser, insbesonders christlicher Natur. Nach dem Superchristen-Special, das ich vor anderthalb Jahren geschrieben habe, wird es höchste Zeit für einen erneuten Rundblick in eine Welt voller ganz bemerkenswert origineller Ansichten.

Das Kreuz mit der Jugend

Die Jugend ist verkommen und verroht, sie hat weder Moral noch Respekt vor dem Alter. An dieser Wahrheit hat sich in den letzten paartausend Jahren nichts geändert, und so ist es eine schöne und erhaltenswerte Tradition, dass sich verstockte alte Säcke und missgünstige Zukurzgekommene über das sorgenfreie Pack echauffieren und darauf warten, dass diese schäbigen Hedonisten irgendwann so verbittert sind wie sie selbst. Man kann diesen natürlichen Prozess selbstverständlich auch bewusst beschleunigen, zum Beispiel durch Verbote, Hetzkampagnen, soziale Isolation – oder man droht mit einem höllischen Nachleben. Das den pickeligen Backfischen aber nur blüht, wenn sie sich die Gedankenwelt der christlichen Misanthropen zueigen machen, und das ihnen deswegen herzlich egal sein kann, sprich: wenn man es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Jugend zum Christentum zu bekehren, kämpft man als fanatischer Sonderling auf ziemlich verlorenem Posten. Weil fanatische christliche Sonderlinge aber Masochisten sind, probieren sie’s natürlich trotzdem.

Die Jugend wächst heutzutage außerdem auf mit einem reichhaltigen Medienangebot. Sie ist ein Minimum an Laut, Bunt und Durcheinander gewohnt:

Wie also spricht man diese medial abgebrühten Teenager am besten an?

Ja, genau.

Dieser Zettel stammt vom „Hausbibelkreis Wilhelm R.“ (Name meinerseits anonymisiert), den Google zwar nicht kennt, der aber bestimmt viel progressiver und weltoffener ist als jeder andere Kreis von Menschen, die sich in konspirativen Wohnungen zum Beten und Über-die-Welt-Zetern treffen, weil ihnen der in der Gesellschaft gelebte Glaube nicht verkniffen genug ist. Wenn das Muslime wären, hätte schon längst irgendwer den BND angetextet.

Gut. Wir sind ja alle jung geblieben, also quasi auch Adressaten. Was schreiben die denn so?

Seit jeher ist es nicht die Jugend, sondern ihre Schwäche gegenüber den verführerischen Verlockungen der modernen Welt, die uns alle ins Verderben reißt. Die Medien sind an allem Schuld, alle bis auf Videospiele und das Internet, die in dieser Auflistung vermutlich deswegen fehlen, weil der Verfasser nie gelernt hat, wie man einen Computer einschaltet.

Was die Bibelkreiser hier immerhin geschafft haben: sie haben mich für die Bibel interessiert. Und zwar dahingehend, dass ich die angegebenen Stellen nachgeschlagen habe, in der Hoffnung, da was über Discos, Rock (oder ähnliches) oder gar Sexi-Kleidung zu lesen. Stattdessen gibt’s ein Psychogramm asketischer, spießbürgerlicher Verbohrtheit – eine Aufforderung zum gemäßigten Leben (Römer 13, 12-13), ein „lasst euch nix erzählen, was in der Bibel steht ist alles wahr!“ (Epheser 5, 5-6) und eine Hasstirade gegen Andersdenkende, inklusive einem eingeschnappten „Ihr werdet schon sehen, wo das hinführt!“ (2. Petrus 2, 12-14). Womit könnte jemand mit präzise diesem Geistesknacks wohl ein Problem haben?

Lesbische Liebe und Satanismus

Es ist ein ums andere Mal erstaunlich, wie überrascht und empört sich Superchristen einerseits angesichts der Erkenntnis zeigen, dass menschliche Vor- und Einstellungen wandelbar sind, und dass sie andererseits gerne übergehen, dass sie ihr Leben aus exakt diesem Grund nicht mehr wie noch vor zweitausend Jahren als Ziegenhirten in zugigen Lehmhütten beginnen und beschließen, sondern in einer modernen und aufgeklärten Zivilisation leben, die Errungenschaften wie Mikrowellenöfen und Wachsfrüchte hervorgebracht hat.

Jetzt kommt viel, das kurioserweise wenig unterhaltsam ist, obwohl es ganze Absätze lang weiter geht mit „Untergang ganzer Weltreiche“, „Das Reich Gottes ist nahe“ und „Untergang der Welt im Feuer“. Mal davon ausgegangen, dass wir zumindest im August diesen Jahres noch einen halbwegs optimalen Sommer bekommen und die Zahl der Sexi-Kleidungsstücke eine kritische Masse erreicht, die unseren Planeten in eine Dimensionsspalte stürzen lässt: wie können wir das noch verhindern?

Offenbar gar nicht. Wo entsteht also für mich als Adressat Handlungsbedarf? Wenn ich mir den nächsten Twillight-Film in jedem Fall auf großer Leinwand ansehen müsste und nur wählen könnte, ob ich eine Karte für Parkett oder Loge haben möchte, dann hätte diese Entscheidung keinen Einfluss darauf, dass es ein vermutlich ziemlich beschissener Abend würde.

Es folgt das hinreichend bekannte Blabla („Gehe auf Deine Knie und bereue“, etc. pp.), dann geht’s wieder raus aus dem Gebetszimmer und rein in die reale Welt (oder das, was man in der Hauskreisszene dafür hält):

Und prompt wendet man sich wieder schaudernd ab und kriecht ins fromme Kellerloch zurück:

Finger weg von allen, die weniger fanatisch sein könnten als wir!

Ich habe es eingangs schon angedeutet: das hier sind extremistische Sektierer, die die westliche Kultur verachten und wonnig glucksend den Weltuntergang erwarten – und es gibt keinen Grund, das zu belächeln, nur weil der ganze Flyer unbeholfen wirkt und von Leuten stammt, die weder Koran noch (vermutlich) Pilotenschein in der Tasche haben, denn der Zettel wurde vormittags in der Innenstadt von Bottrop-Kirchhellen verteilt, während der fragliche Bibelkreis aber in Hemer sitzt. Zwischen dem nördlichen Ruhrgebiet und dem Sauerland liegt eine Stunde Fahrt. Entweder also, irgendeine Seele war so irre, frühmorgens in den Zug zu steigen, nur um in einer Fußgängerzone einen Stapel Apokalypse-Handzettel abzuwerfen, oder die verschiedenen Bibelkreise haben Strukturen, die es ihnen erlauben, untereinander Material auszutauschen und auch gute 100 Kilometer von ihrem Kreismittelpunkt entfernt aktiv zu werden. Beide Szenarien sind – sagen wir mal – unschön.

Einen nennenswerten Google-Treffer ergibt die Suche nach dem vollständigen Namen des Hauskreisbetreibers übrigens doch: man stößt dabei auf die Geschichte eines Teenager-Lehrlings aus Berlin (trotz Namensgleichheit wahrscheinlich nicht verwandt/verschwägert), der seinen Meister erschossen hat. Man machte nach der Tat die Medien dafür verantwortlich, insbesondere die vom Täter konsumierten Romanhefte und schlechte Literatur im Allgemeinen. Das war zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Wer also den Untergang des Abendlandes sucht: er lungert seit Anbeginn der Zeit nach Schulschluss in Einkaufszentren herum, Arm in Arm mit Geisterjäger John Sinclair. In Sexi-Kleidung.




7 Kommentare

1) CrazyEddie

17. Juli 2012, 15:06

Ha, und Pen-and-Paper-Rollenspiele sind auch kein Satanswerk mehr. Hab ich ein Glück.

2) Johannes

17. Juli 2012, 20:39

Ha, wie selbstironisch! Mir als Christ ist diese 2.Petrusstelle aufgefallen, wo gegen die Irrlehrer gewettert wird – und das von einem, der offensichtlich selbiges mit voller Hingabe betreibt -.-
Er hat mit manchem ja im Ansatz (aber auch wirklich nur das!) recht, aber schießt doch komplett am Ziel und Wesen des christlichen Glaubens vorbei. Oder habe ich die Wörter „Vergebung“ und „Liebe“ nur überlesen?

Ansonsten: Schön geschrieben – ich hab mich auch ein bischen amüsiert, trotzdem es eigentlich alles nur sehr traurig und nervig ist…

3) Lukas

17. Juli 2012, 22:31

@Johannes: Nein, er hat mit nichts Recht. Nicht mal im Ansatz. Und den Kern des christlichen Glaubens trifft er ziemlich präzise. Ansonsten: vielen Dank. 😎

4) Johannes

20. Juli 2012, 20:08

Also, ich finde den Ansatz, dass „junge Menschen von Kindheit an durch Massenmedien und falsche Leitbilder beeinflusst werden“ ziemlich zutreffend – völlig unabhängig, ob man das mit Glaubensfragen verknüpft.
Und nein, er trifft den Kern des christlichen Glaubens nicht – er kratzt ein bischen an der Schale… Vor 500 Jahren wäre er damit vermutlich allerdings ein kirchlicher Superstar gewesen. Vor 2000 Jahren hingegen hätte Jesus ihn mit den Pharisäern in eine Ecke gestellt. Die erhobene Moralkeule verführt leider immer noch viel zu viele Menschen, Christen oder nicht.

5) Lukas

20. Juli 2012, 22:46

Finden kann man viel. Dieser „Ansatz“ ist ein unreflektierter Allgemeinplatz auf dem Niveau rückwärtsgewandter Stammtischrhetorik. Natürlich muss man das nicht zwangsläufig mit Glaubensfragen verknüpfen, aber es gibt allerortens eine faszinierende Schnittmenge von konservativen und christlichen Weltbildern.

Und doch, das Flugblatt trifft den Kern des christlichen Glaubens. Gerade Masochismus und Eschatologie waren von Beginn an definierende Bausteine des Christentums, und man komme mir umgekehrt nicht mit Vergebung und Liebe und anderen zutiefst menschlichen Regungen, die die Kirche sich immer mal wieder als ureigene Ideen unter den Nagel zu reißen versucht.

Klar gibt es Christen, die nicht so sind, sondern nur ein bisschen so. Wenn man ein richtiges Leben im falschen führt, sieht man vielleicht nicht mehr anhand jedes Miniocks das Ende nahen, wähnt aber zumindest noch in den Pamphleten von Schwerbestussten irgendwelche richtigen Ansätze.

6) Johannes

23. Juli 2012, 20:48

Nun ja, es ist offensichtlich, dass das allgemein formuliert ist. Es war aber auch nicht sein Ansinnen, seine Statements (außer anhand herbeigezerrter Bibelstellen) zu reflektieren. Wäre wohl besser gewesen – aber dann wäre es wohl auch nie zu diesem Paphlet gekommen. Naja, auch das wäre wohl besser gewesen…
So faszinierend ist die Schnittmenge von konservativen und christlichen Weltbildern an sich nicht, da das eine im jeweils anderen in Teilen (mal mehr mal weniger) enthalten ist. Und dabei betrachte ich den Begriff „konservativ“ erstmal völlig wertfrei (manch einer denkt ja, das sei ein Schimpfwort).

Deinen zweiten Absatz kann ich nicht nachvollziehen. Du bist doch umfassend gebildet – auch in religiösen Fragen, wie mir scheint. Vielleicht ist die Bibel nicht die erste Quelle menschlicher Ethik auf dieser Welt, aber Vergebung und Liebe sind dort so dermaßen zentral, dass es nun wirklich keine Kirche mehr braucht(e) um sich diese „Ideen unter den Nagel zu reissen“. Diese Werte waren ja fast die einzige Vorgabe, die Jesus seinen Jüngern (und damit den Urvätern der Kirche) mit auf den Weg gegeben hat.
Das mit dem Masochismus halte ich allerdings für ein Gewächs einiger übereifriger Kirchenväter, das bis heute immer noch in vielen Köpfen wuchert. Aus der Bibel erschließt sich nicht, dass es sich dabei um eine erstrebenswerte Haltung handelt. Was sollte daran denn auch sinnvoll sein, glaubensmäßig?
Die Gleichung „Kirche=christlicher Glaube“ geht einfach nicht auf.

Das mit dem richtigen Leben im falschen hab ich nicht ganz verstanden. Ich für meinen Teil bekomme aber keine verbrannten Augen, wenn ich einen Minirock (an einer Frau dran) sehe.

7) CrazyEddie

23. Juli 2012, 22:12

Lukas und Johannes diskutieren über das Christgentum und seine Ausprägungen. Sag das nem Pfarrer und der fragt aus welchem Buch des frühen Christentum das stammt… o.O

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