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Amateurfilm, du… (Teil 7)

Eigentlich wollte ich es bei drei Artikeln zum Thema belassen, dann wollte ich nach sechs Artikeln aufhören, dann hat Indigo-Filmfest-Macher Michael Valentin mir noch mal geantwortet, und jetzt muss ich halt noch mal. Beziehungsweise wir, denn bei dem, was hier noch kommt, hat mein Kollaborateur Dirk M. Jürgens assistiert. In jedem Fall bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich auf total originelle Artikeltitel einfach keine Lust mehr habe. Weiter geht’s deshalb schmucklos mit Teil 7.

Wie gesagt, Michael hat noch mal geantwortet:

Ich hab nach wie vor echt den Eindruck, dass du nur einen winzigen Teil der „Szene“ wahrnimmst. Das was wir jährlich zeigen ist ja auch nicht alles, was an Einsendungen bei uns ankommt. Und das was bei uns eingesendet wird, ist auch nur wenig im Vergleich zu dem, was es so gibt. Hier gern noch ein paar Beispiele (teilweise nicht aus D, aber aus Ö):

Jut, schauen wir uns doch mal ein paar der Beispiele an, die Michael nennt. Schließlich will ich ja Unrecht haben, ich will ja, dass es gute Amateurfilme gibt. Los geht’s mit Operation Dragonborn:

Ich hatte drei Merkmale eines guten Amateurfilms genannt: inhaltliche Originalität, gutes Handwerk, öffentliche Wahrnehmung. Was das Handwerk angeht, müssen wir hier nicht diskutieren. Operation Dragonborn ist sensationell gut gemacht, nicht nur, was die Effekte angeht, auch in der Inszenierung der Action ist der Film völlig sauber und nachvollziehbar, und in den richtigen Momenten werden mit visuellem Zuckerguss Akzente gesetzt.

Inhaltlich sieht das leider anders aus. Der Film besteht letztendlich nur aus einigen Jagd- und Kampfszenen mit fantastisch gemachten Drachen (die, das betone ich gerne noch mal, jede US-Low-Budget-Produktion in die Tasche stecken). Aber was ist in dieser Welt passiert? Was sind das für Viecher? Wer sind die Jungs, die den Truck wollen? Wo wollen die damit hin? Nichts gegen offene Fragen, insbesondere im beschränkten Format des Kurzfilms, aber Operation Dragonborn erzählt keine Geschichte, sondern nur eine Abfolge von Handlungen. Säßen da keine CGI-Viecher auf dem Truck, sondern simpel geschminkte Zombies, dann wäre noch deutlicher, dass gegenüber dem Amateurfilm von vor zwanzig Jahren zwar eine beeindruckende technische und handwerkliche Entwicklung stattgefunden hat, inhaltlich aber alles beim Alten geblieben ist.

Natürlich ist es unfair, dem Film das vorzuwerfen, denn der will halt nicht mehr sein als ein grandioser Showcase für das handwerkliche Können seiner Macher. Deswegen ist er auch ein grandioser Showcase und kein guter Film. Schade.

Ein ähnlicher Fall ist der Fake-Trailer zu Alex:

Die Macher treffen die Manierismen Kubricks beeindruckend präzise, letztendlich ist es allerdings die gleiche Suppe: ein inhaltsloser Showcase für handwerkliches Können, der nicht viel mehr macht, als sein Vorbild zu imitieren. Dass das mal nicht Romero oder Fulci heißt, ist natürlich erfreulich, ändert aber nichts daran, dass Alex viel Stil, aber keine Substanz hat.

Machen wir weiter mit dem Trailer zum nächsten Video auf Michaels Liste von Vorzeigeprojekten der Szene, dem Amateur-Alien-Animationsfilm Quiqueck & Hämat – Proll Out:

Technisch sieht auch das rund aus, aber – und hier betrete ich das Minenfeld des persönlichen Geschmacks – begeistert waren Dirk und ich nicht. Von den Oberflächenkorrekturen einmal abgesehen wirkt das wie ein Raumschiff Highlander auf aktuellem technischen Stand. Klar, wir haben den vollständigen Film nicht gesehen und es mag daran liegen, dass wir freudlos und verbittert sind, aber der einzige Gag, der bei uns halbwegs zündete, war nicht direkt Teil des Films, sondern gehörte zum Paratext, als nämlich bei 1:27 der Macher Thomas Zeug den geringen Umfang seines Teams ironisiert. Und genau dieser Paratext ist das eigentlich Interessante am Trailer (denn über Geschmack ließe sich streiten, und das habe ich sicherlich nicht vor): „Das größte Independent-Animationsprojekt Deutschlands, gemacht von nur einem Erdling“ heißt es da. Zeug ist daran gelegen, darauf hinzuweisen, dass sein Film „Independent“ ist, aus Deutschland stammt und im Wesentlichen ein Ein-Mann-Unternehmen ist. Über das Warum könnte ich nur spekulieren, aber was er damit erreicht, ist auf die Produktionsumstände des Films zu verweisen und damit auf dessen „Gemachtheit“, etwas, das ich im fünften Teil schon mal als problematisch angesprochen habe.

Bleiben wir bei den drei Punkten, die Zeug für seinen Film ins Feld führt:

Proll Out ist ein Film aus Deutschland

Die Herr-der-Ringe-Filme sind deutsch produziert. Inglorious Basterds wurde in Potsdam-Babelsberg gedreht. Roland Emmerich, Regisseur von Independence Day und Godzilla, ist gebürtiger Deutscher. War das jemals ein Grund, sich einen dieser Filme anzusehen? Was ist so spezifisch deutsch an Proll Out, einem Film, der nicht in Deutschland, nicht einmal auf der Erde spielt, dass es wichtig ist, darauf hinzuweisen?

Proll Out ist ein Ein-Mann-Projekt

Das kann man leicht umdrehen: wie blöde muss man sein, sich für ein solches Projekt nicht ein paar Leute mit ins Boot zu holen? Terminator 2, ein Film mit einem legendär mit Namen vollgepfropften Abspann, ist ein Gemeinschaftsprojekt von vielen hundert Menschen. Macht ihn das dann entsprechend zu einer weniger beeindruckenden Leistung? Ist schon mal jemand in einem Kinofilm beim Abspann sitzen geblieben, hat sich diesen durchgelesen und überlegt, seine Meinung über das Gesehene abhängig zu machen von der Zahl der Beteiligten?

Proll Out ist ein Independent-Film

Mit dem Problem haben wir uns in dieser Artikelserie schon einmal herumgeschlagen: was ist denn eigentlich ein Amateurfilm/Homemade-Film/Independent-Film? Laut Wikipedia-Definition ist ein Independent-Film jeder Film, der außerhalb der sechs Studio-Riesen (Disney, etc.) produziert wird. Bezogen auf den deutschen Raum betrifft das also… *rechnerechnerechne* …alle. Sogar Til Schweiger macht demnach Independent-Filme. Wovon könnte man die Definition denn noch abhängig machen? Finanzierung durch die Filmförderstellen, immerhin das, was hierzulande einem Studiosystem noch am nächsten kommt? Aber ist die Filmförderung nicht ein weitgehend unberechenbarer Faktor, werden neben den Konsensfilmen mit Nazis, Stasis und Schweiger nicht auch Filme finanziert, bei denen man erst einmal nicht damit rechnet? Kleine Budgets? Laut der Website zum Film hat Proll Out immerhin ca. 12.000€ gekostet. Gibt es eine Obergrenze, unter der man zu bleiben hat, wenn man keinen Ärger mit der Independentpolizei will? Vielleicht ist Proll Out independent, weil Zeug seine Freizeit („steckt viele Stunden Freizeit in sein Herzensprojekt„) investiert hat? So, wie jeder Selbständige, jeder Unternehmer das tut? Vielleicht, weil Zeug ein Autodidakt ist? Ja, und? Santiago Ziesmer, der die Hälfte aller Figuren spricht, ist ein Vollprofi, genau wie der Film offenbar eine professionelle DVD- und BluRay-Auswertung anstrebt.

Ich werfe Thomas Zeug das auf keinen Fall vor. Er kann nichts dafür, dass der Independent-Begriff so schwammig ist, und wenn er Proll Out als Independet-Film gewertet wissen will, dann ist das sein gutes Recht. Die sehr viel wichtigere Frage, die sich auch hier stellt: wenn die Macher oder sonstwer einen Film als Independent-Film labeln, was bringt mir das? Was hab ich überhaupt davon, wenn Zeug alleine unterwegs ist, deutsch ist, independent (was immer das auch heißt)? Ein Zuschauer eines Films denkt schließlich, wir erinnern uns, dessen Entstehungsprozess in der Regel nicht mit, sondern bemüht seine Suspension of Disbelief, um sich unterhalten zu lassen, und da entscheidet dann nur der Film – allerdings hat in dieser Trailer-Werbebotschaft keines der drei genannten „Argumente“ für den Film mit dem eigentlichen Film zu tun.

Das ist symptomatisch, denn Filme, das wissen wir mittlerweile, sind zwar ein Teil des Amateurszene-Lebens, aber leider nicht der entscheidendste. Dass Thomas Zeug und jeder andere Amateurfilmer seinen Kram ohne Hollywood, ohne große Teams, ohne Hilfe von „denen da oben“ gerissen bekommt, ist für Szenemenschen mit Sicherheit Ansporn, aber ich als Zuschauer habe nichts davon. Die Werbebotschaft ergibt nur Sinn, kann mich nur ansprechen, wenn ich selbst Filme drehe. Das allerdings machen ja nicht wenige in der Szene, um nicht zu sagen auffällig viele, wenn nicht sogar alle. Michael Valentin hatte ich genau dazu schon einmal zitiert:

Du sagst, dass es zu wenig normales Publikum gibt. Aber ist es nicht auch so, dass die Leute, die sich für Amateurfilme interessieren meistens auch selbst drehen? Da sind die Grenzen schon ziemlich verschwommen. Die Macher sind halt zu einem großen Teil auch das Publikum. Ich weiß nicht, was dich an dem Ganzen so dermaßen stört, aber ich kann dir versichern, dass die 130 Leute, die am Wochenende da waren, ihren Spaß hatten.

Das ist natürlich super. Alle machen mit, alle gehen mit einem wohligen Gefühl in der Bauchgegend nach Hause. Das Wir-Gefühl ist die Schattenwährung der Amateurfilmer, und alles, was man tun muss, um sich an diesem Topf bedienen zu können, ist irgendwas runterzukurbeln. Egal was, egal, ob es Außenstehende unterhält, zum Dazugehören reicht’s immer.

Und grade wenn man keine Lust mehr hat, sich durch den ganzen Amateurmist zu klicken, landet man bei With A Piece Of Chalk:

Was waren noch mal meine drei Merkmale? Inhaltliche Originalität? Check. Der Clip erzählt seine Geschichte nur extrem skizzenhaft, aber nachvollziehbar, und ich hatte bis dato noch keinen Breakdance-Kurzfilm gesehen. Gutes Handwerk? Doppel-Check. Kamera, Schnitt, Schauspieler, Musik – da ist alles wie aus einem Guss und auf hohem Niveau. Öffentliche Wahrnehmung? Über drei Millionen Views auf Youtube. Isser das also? Der eine gute Amateurfilm, auf den ich gehofft hatte, der die Hütte rockt, ohne auf Nummer Sicher zu gehen und sich selbst zu ironisieren, ohne eine Komödie zu sein?

Nein. Gut ist er, keine Frage, aber ein Amateurfilm ist er nicht, denn wenn ich mir meine Überlegungen zur Definition des Amateurfilms  so ansehe, dann muss ich im Nachhinein feststellen, dass die noch nicht wirklich rund ist. Aber darum kümmern wir uns im nächsten Teil.




2 Kommentare

1) Thomas Zeug

23. November 2013, 23:31

Hi miteinander,

bin heute auf diesen Artikel gestoßen und da sich ein großer Teil um mich und mein Projekt dreht, hier eine kurze Stellungname:

Ich habe das Gefühl, dass zumindest in diesen einen Satz in meinem Trailer mehr reininterpretiert wird, als er es eigentlich verdient hat. Ich denke, man stimmt mir zu, dass ein Trailer die Besonderheiten eines Werks herausheben sollte. „Warum soll ich mir diesen Film anschauen?“ fragt sich der Zuschauer. Was „Proll Out“ nun mal am meisten auszeichnet ist die Tatsache, dass er zum Großteil von einer Person gemacht wurde. Das kann man als gut oder schlecht auslegen, aber es ist ein Fakt, den nur wenige Filme von sich behaupten können.

Und ich habe bisher ausnahmslos die Erfahrung gemacht, dass den Zuschauer dies auch interessiert! Klar, bei 99% der typischen Hollywood-Schinken ist die Geschichte dahinter einfach nichts persönliches. Hunderte Leute gehen ihren bezahlten Berufen nach und am Ende kommt ein Film raus. Grob gesehen immer die selbe Entstehungsstory. Wenn ein Film mal auf andere Art und Weise verwirklicht wird, ist das schon was außergewöhnliches und gehört auch erwähnt.

In Spanien gibt es einen Mann, der seit über 50 Jahren nahezu allein eine komplette Kirche baut. Nach der Meinung in diesem Artikel könnte man meinen, dass die fertige Kirche nichts Besonderes ist. Eine Kirche, wie jede andere. Doch grade durch die Hintergründe entsteht beim Betrachter ein ganz anderes Bewusstsein. Die Kirche ist deswegen nicht besser als andere, aber man sieht sie durch einen neuen Blickwinkel und kann nicht mehr so einfach den Vergleich ziehen.

Unter Independent verstehe ich Filme, die nicht von großen Konzernen mit Marktforschung und reinem Kommerzgedanken produziert wurden, sondern von aktiven Filmliebhabern aus Liebe zu deren Medium. Das mag eine etwas subjektive Definition sein, aber auch Wikipedia ist nicht gerade eine objektive Quelle für sowas!

Aber das macht es meiner Meinung nach aus. Ich arbeite neben meinem Hobby in einem großen Medienunternehmen und dort ist leider der Wunsch nach etwas Neuem defacto nicht da. Man will immer wieder das erprobte Alte. Und so ist es auf der ganzen Welt. Es sind nun mal die Indies und Unabhängigen, die meistens neue Wege beschreiten und was Frisches schaffen. In wie weit mein Filmchen da mitzieht sei dahingestellt. Aber bei mir war definitiv nie der Gedanke da „Ich mach’s so wie gewohnt, um auf der sicheren Seite zu sein!“.
Und ich bin sicher der Zuschauer merkt das und weiß es zu schätzen. Er muss es nicht gut finden, aber er sollte die Information haben, um danach selbst urteilen zu können!

„Proll Out“ ist kein tiefgründiger Film, der groß zum Nachdenken anregt oder besonders komplex daherkommt. Das wollte und sollte er nie sein. Wobei ich manchmal den Eindruck habe, als fordern manche Menschen das. Wenn man im Film an einigen Stellen schmunzelt, sich unterhalten fühlt und keine Langeweile aufkommt, hat der Streifen sein Ziel voll und ganz erfüllt. Ich entwickle mich und mein Hobby ständig weiter und will natürlich auch im Punkto Inhalt in Zukunft noch besser werden. Jedem wird es aber nie gefallen.

Zum Abschluss noch kurz zur Auswertung: Ich strebe eine professionelle DVD/BluRay-Auswertung nicht des Geldes wegen an. Jeder, der auch nur ein bisschen Erfahrung in dem Bereich hat weiß genau, dass bei solchen Produktionen eh nicht der Reichtum winkt. Es ist allerdings so, dass der Film so die größte Aufmerksamkeit bekommt.
Bei einfachem Gratis-Onlinestellen geht so ein Film unter. Eine reine Filmfestival-Auswertung erreicht höchstens ein paar Hundert Zuschauer insgesamt und sonst sauert der Film auf der Festplatte rum. Wenn man ein Werk in der Filmlänge von „Proll Out“ weitest möglich streuen will, kommt man um den „klassischen Weg“ nicht drum rum. Das sind nun mal die Kanäle, die die meisten Leute zum Filmeschauen gewohnt sind.

Jetzt habe ich doch mehr geschrieben, als ich mir vorgenommen hatte. Nichts desto trotz danke, dass ihr auf mein Filmchen hingewiesen habt 😉

2) DMJ

27. November 2013, 19:19

Der Hausherr scheint nicht da zu sein, also übernehme ich (besagter Kollaborateur 😉 ) mal die Antwort.

Ersteimal freut es uns natürlich, dass einer der erwähnten Macher selbst sich hier zu Wort meldet, aber die meisten deiner Ausführungen beißen sich eigentlich nicht mit dem, was wir hier behandeln: Ja, dass ein Film von nur einem Menschen gemacht wurde, ist eine Besonderheit, die tatsächlich erwähnt werden darf. Ganz davon abgesehen, dass wir natürlich den Hut vor der Leistung ziehen, bleibt es aber dennoch der unglückliche Fall, dass damit auch dieser, an sich unübliche Film wieder in die übliche Kerbe schlägt, nämlich seine Gemachtheit herauszustellen.
Die Leistung des erwähnten Spaniers ist auch höchst respektabel, aber wenn es darum geht, einfach nur die bestmögliche Kirche zu bekommen, kein Aspekt, der wesentlich ist. Wenn jemand ohne Arme und Beine mit dem Mund ein Bild malt, ist das auch eine respektable Leistung, aber an die Wand hänge ich mir dennoch, was gut aussieht und nicht, was Bewunderung verdient.

Uns fällt eben auf, dass es im Nachwuchs-/Amateur-/Independentfilm hierzulande nie heißt „Hör dir diese Geschichte an!“, sondern „Guck, wie ich eine Geschichte erzähle!“. Und das ist eben bei „Proll Out“ (völlig unberührt davon, wie gut er sein mag) auch so.

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