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Amateurfilm, du stumpfer Zombie! (Teil 3)

Im zweiten Teil dieser Reihe haben wir uns angesehen, was so ein Amateurfilm eigentlich für einer ist, anhand eines fünfzig Jahre alten Perry-Rhodan-Fanfilms. Wer jetzt zurecht einwirft, dass der als Untersuchungsgegenstand ja schön und gut war, aber nicht so unbedingt repräsentativ für das ist, was man heutzutage an Amateurfilmen zu sehen bekommt, kriegt jetzt die volle Schlamm- und Schmodderpackung an Gorehound-Kino.

Die sublimierende Funktion des Amateurfilms nämlich wird noch klarer, wenn man sich seine Rolle ab den späten 80er Jahren ansieht. Andreas Schnaas‘ Violent Shit von 1989 zum Beispiel liefert das, was der Titel verspricht. Er ist eine Aneinanderreihung von beschissen gefilmten Splatter-Nummern, die nur von der dünnsten denkbaren Handlung zusammengehalten werden: ein geistig behinderter Gewalttäter ist aus einem verunfallten Gefangenentransport ausgebrochen und tötet nun jeden, der ihm begegnet.

Es ist völlig zwecklos, so was nach den Maßstäben eines normalen Films bewerten zu wollen. Ich schreib ja auch keine Kritiken für YouPorn-Clips. Man kann nur genau wie bei einem Porno fragen, ob der Film seinen Zweck erfüllt hat, und für viele hat er das. Violent Shit, dessen noch erfolgreicherer Quasi-Nachfolger Zombie 90 (den Dirk und ich zu Zombie 09 verwurstet haben) und dessen unzählige Epigonen waren eine Reaktion auf die Hexenjagd der deutschen Zensur auf Gewalt in den Medien während der achtziger Jahre. Weil Filmen wie zum Beispiel Hellbound – Hellraiser 2 für die deutsche Fassung alle Zähne gezogen wurde, hat sich eine ganze Generation von deutschen Horrorfans ihre Kicks aus anderen Quellen geholt (Ich habe an dieser Stelle keine Lust, das zu hinterfragen – der Mensch hat sich schon immer an Exzessen erfreut und für eine absolute Mehrheit gehört dazu harte Pornografie und brutale Gewalt in Filmen. Pervers ist eher der, der sich dem verschließt). Bei den selbstgedrehten Freizeitwerken, die an der FSK vorbei auf VHS-Tapes in der Republik verteilt wurden, war es dann egal, wenn Kamera, Schnitt, Ton und sogar Effekte eine einzige Schnorchelstunde im Bahnhofsklo waren, solange man nur die drastischen Spitzen bekam, die in anderen Filmen nicht gezeigt werden durften.

Hier ein paar Zeitzeugen zum Thema, dem Bonusmaterial von Zombie 09 entnommen und ironischerweise teilweise gefilmt auf dem Indigo-Filmfest 2009:

Diese Reduktion auf eine spezifische Funktion und einen spezifischen Kreis von Adressaten führte dazu, dass der deutsche Amateurfilm eine Fußnote der Filmgeschichte geblieben ist. Er war immer nur ein Mittel zum Zweck und hat weniger mit Hellraiser und mehr mit Spritzgebäck vom Fickolaus gemein – er ist, wie schon angedeutet, ein Porno, der das Sperma durch Blut ersetzt, durch Sci-Fi-Gedöns oder irgendeinen anderen Fetisch. Wer jenseits der Fetischisten interessiert sich schon dafür?

Das Interessante gerade an den Splatter-Amateurfilmen ist aber, das hier die Zielgruppe erstmals groß genug war, um komplexere Strukturen und Zusammenhänge wachsen zu lassen. Violent Shit ist meines Wissens nach der erste erfolgreich kommerziell vertriebene deutsche Amateurfilm (Mag aber sein, dass ich mich da irre und Olaf Ittenbachs Black Past früher auf dem Markt war). Er hat zwei Fortsetzungen nach sich gezogen und unzählige Horrorfans dazu inspiriert, ebenfalls Filme zu drehen, natürlich für dieselbe Zielgruppe. Das bedeutete einen Zuwachs an Medien-Material, einen Zuwachs an Kommunikation (begünstigt durch eine Reihe von Fanzines zum Thema), einen pausenlosen und unkritischen Selbstbezug und damit letztendlich die Bildung einer hermetischen Szene. So gesehen und insbesondere mit dem Porno-Vergleich im Hinterkopf lässt die sich am ehesten vergleichen mit einer Clique von Vierzehnjährigen, die quasi pausenlos wichsen, sich dann geschäftig gegenseitig davon berichten und sich ansonsten einen Scheiß für das interessieren, was in der Welt passiert. Das ist, man verstehe mich nicht falsch, bei Vierzehnjährigen nicht weiter überraschend oder diskussionswürdig, aber vierzehn ist man ein Jahr lang, wohingegen Violent Shit mittlerweile 24 Jahre her ist.

In dieser Zeit ist etwas in der Welt passiert, von dem man eigentlich denken sollte, dass es die Amateurfilmer sehr wohl betrifft: Mit dem Aufkommen des Internets waren selbst nach Paragraph 131 beschlagnahmte Titel zunehmend problemloser zu bekommen, anfangs über Bestellungen im Ausland, spätestens ab Mitte der nuller Jahre noch unkomplizierter per illegalen Downloads oder Streams. Parallel dazu (und inwiefern das Korrelation oder Kausalität war, sei mal dahin gestellt) wurden die Zensurbestimmungen während der letzten circa fünfzehn Jahre schleichend gelockert. Filme, die zu ihrer Zeit selbst noch in stark geschnittenen Fassungen ab 18 freigegeben wurden, erhalten heute oft problemlos eine Freigabe ab 16 Jahren. Auch was aktuell in den Kinos oder in den Videotheken erscheint, hat vergleichsweise selten mit drohenden Verboten zu kämpfen.

Überhaupt ist die mögliche Zahl der für den Amateurfilm so wichtigen subjektiv empfindbaren Mängel zurückgegangen: wir leben in einem medialen Schlaraffenland für Nerds und Geeks. Die Marvel- und Tolkien-Universen sind würdig auf die Leinwand gebracht worden, Batman gibt es in jeder erdenklichen Geschmacksrichtung, Star Wars, Star Trek und Godzilla sind mit neuen Verfilmungen am Start, und wer sich mit zugekiffter Birne mal gefragt hat, ob Freddy oder Jason stärker ist, kann sich den entsprechenden Film reinziehen (Nur von Perry Rhodan gibt es immer noch keine werkgetreue Verfilmung. Go, Thunack, go!). Die Studios haben begriffen, dass wir bebrillten Pickelfressen ein entscheidender Faktor in der Vermarktung sind, und deshalb behandeln sie mittlerweile jedes Fandom mit Respekt.

Darüber hinaus haben die stetig sinkenden Produktionskosten, die stetig steigende Verfügbarkeit von Equipment und die durch Plattformen wie Youtube vorangetriebene Demokratisierung der Medien dazu geführt, dass jede noch so bescheuerte Idee schon mal verfilmt worden ist, wenn nicht von den Studios, dann von Fans.

Für den deutsche Amateurfilm bedeutet das eine Sinnkrise: wenn mittlerweile selbst viehisch brutale Klopper ungekürzt zu haben sind, wozu dann noch ein Abklatsch? Wenn es alles, was sich die Menschheit an Raumschiffschlachten und Fantasymetzeleien ausgedacht hat, bereits auf BluRay gibt, wozu soll man dann selbst noch die Kamera anknipsen? Wer braucht in Zeiten von James Gunns Super noch Thilo Gosejohanns Captain Cosmotic?

Es ist genug Entertainment da, für alle. Es gibt eigentlich keinen Grund, je wieder einen Film zu drehen. Ich möchte nicht so weit gehen, das Ende aller Kultur auszurufen – das haben quer durch die Geschichte genug Leute getan und sich damit blamiert – ich glaube aber, dass wir uns in einem Zeitalter befinden, das sich hinsichtlich seiner Medien und deren Inhalte so sehr im Umbruch befindet wie schon lange nicht mehr.


Das Video, das alle anderen Videos auf diesem Planeten hinfällig werden lässt. Ein würdiger Endpunkt der menschlichen Kulturgeschichte.

Die Voraussetzungen für den sublimierenden Amateurfilm sind also verschwunden. Nichtsdestotrotz eröffnet das Indigo-Filmfest in diesem Jahr mit dem Clownhorror-Film (Ja, das ist ein Subgenre, und ich rufe hiermit das Ende aller Kultur aus) Mask of Fear:

Die Inhaltsangabe laut Indigo-Programm:

Die ehrgeizige Studentin Sydney arbeitet mit Hochdruck an ihrer Diplomarbeit der Forensischen Psychologie und stößt bei ihrer Recherche auf einen Fall, bei dem drei jugendliche Täter in einem finsteren Keller Menschen zu Tode gefoltert haben. Da die Beweislage nicht ausreichte, ließ man sie wieder frei. Der Mythos um einen angeblichen Clown als echten Täter wuchs von da an immer mehr. Sydney kommen Zweifel, ob die Jugendlichen die Täter waren und gerät immer tiefer in einen Sog aus Lügen und Vertuschung hinein, bis ihr Leben selbst auf dem Spiel steht. Als plötzlich wieder Leichen auftauchen, ist der Ernst der Lage klar: Der Clown mordet wieder!

Ich weiß, dass ich mich jetzt aus dem Fenster lehne, denn ich habe den Film nicht gesehen, aber auf Basis dieser Zusammenfassung und des Trailers glaube ich, dass Mask of Fear genauso gut schon vor zwanzig Jahren hätte entstehen können. Besonderen Wert wird auf die Inszenierung der Gewalteinlagen gelegt, die Dialogszenen sind dagegen auffällig uninspiriert gefilmt, mies geangelt und schauspielerisch unterdurchschnittlich. Klar, das Material ist nicht mehr verrauschtes VHS, sondern verrauschtes HD und der Schnitt ist flotter als früher, aber von seiner Intention, seinen Inhalten, seiner Haltung her unterscheidet sich der Amateursplatterfilm anno 2013 keinen Deut vom Amateursplatterfilm 1993 (Falls ich Mask of Fear mal in die Finger bekomme, bin ich natürlich gerne bereit, dieses Urteil zu überprüfen). Er ist ein Zeugnis völligen Stillstands.

Ein Blick ins Indigo-Programm zeigt, dass immer noch fast ein Drittel der Festival-Gesamtspielzeit von über zwanzig Stunden auf Horrorfilme entfällt, und ich würde um irgendwas wetten, dass keiner davon großartig anders abläuft als Mask of Fear oder Violent Shit. Ich würde mich freuen, wenn ich mich irrte, aber nachdem ich jetzt mein halbes Leben lang Amateurfilme gucke, glaube ich nicht, dass ich da noch positiv überrascht werde.

Dass es diese Filme trotz der veränderten Umstände immer noch gibt, deutet darauf, dass sich die Funktion des Amateurfilms verschoben hat: Er ist nicht mehr sublimierend, sondern konsolidiert eine Szene, die ansonsten mittlerweile so obsolet wäre wie die Werke, die sie hervorbringt. Er prägt ihr Selbstverständnis, stärkt ihr Selbstbewusstsein, konstruiert ihre Identität. Das Indigo-Filmfest funktioniert dabei wie die Nationalgalerien, bei denen nicht die Bilder im Mittelpunkt stehen, sondern die Pflege des Nationalgefühls, nicht die Präsentation des Geleisteten nach außen, sondern die Einforderung des inneren Zusammenhalts. Amateurfilme und Amateurszene sind längst zu einem symbiotischen Zombie mit zwei sich gegenseitig bedingenden, am Leben haltenden Seiten geworden. Amateurfilme werden gedreht für eine Szene, die sich dadurch motiviert fühlt, Amateurfilme zu drehen. Die eine Seite frisst jeweils, was die andere Seite grade verdaut hat – ein halb verwestes Perpetuum Mobile, bei dem es längst nicht mehr um Film geht und vielleicht nie ging, sondern um ein soziales Erlebnis.

(Einen vierten und letzten Teil schieße ich noch hinterher – allerdings erst im Laufe der kommenden Woche.)




3 Kommentare

1) Peroy

12. Oktober 2013, 21:12

WARUM schreibst du eigentlich keine Kritiken für YouPorn-Clips…?!?

2) Horst

18. Oktober 2013, 10:12

„Mit dem Aufkommen des Internets waren selbst nach Paragraph 131 beschlagnahmte Titel zunehmend problemloser zu bekommen, anfangs über Bestellungen im Ausland, spätestens ab Mitte der nuller Jahre noch unkomplizierter per illegalen Downloads oder Streams.“
Zumindest ergibt sich daraus theoretisch die Daseinsberechtigung, mittels Abmahnungen mit seinem Produkt am Ende mehr Geld zu machen, als dies mittels offizieller Veröffentlichungen möglich sein könnte. Praktisch könnte es zusätzlich frustrierend sein, wenn am Ende nicht mal auf diesem Weg das Produkt Verbreitung findet.

3) „Sin Reaper“ oder Auch niedrige Erwartungen kann man unterlaufen | Weird Fiction

1. November 2013, 16:38

[…] erschreckt er durch überraschendes Auftauchen, noch durch spektakuläre Mordmethoden. Mag der Amateurhorrorfilm gern mal jede Dramaturgie zugunsten ewiglangen Blutgeschmodders zerschmettern, gehen die Morde hier […]

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