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Amateurfilm, du kleinkarierte Pfeife! (Teil 2)

Im ersten Teil dieser kleinen Artikelserie habe ich mich allein mit dem Indigo-Filmfest und dessen Widersprüchen beschäftigt, dann aber angedeutet, dass das eigentlich Interessante an dieser ganzen Geschichte der Amateurfilm an sich ist. Nun sollte man, bevor man jemandem die Bude anzündet, natürlich sicherstellen, dass man auch die richtige Adresse erwischt hat und derjenige gerade zuhause ist. Entsprechend müssen wir erst mal klar kriegen, wie man diesen ominösen Amateurfilm eigentlich definiert.

Der in der westlichen Welt vorherrschende Kulturbegriff unterscheidet strikt zwischen hoher und niedriger Kultur, zwischen Kunst und Unterhaltung, zwischen E- und U-Musik. Und eben auch zwischen Filmen und Amateurfilmen, zwischen Filmemachern und Amateurfilmemachern. Das ist immer eine wertende Differenzierung von oben: wertvoller ist, was die herrschende Klasse tut. Ein Opernabend hat im kulturellen Diskurs einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert als ein Konzert von Eisenpimmel, obwohl es dafür keinen objektiven Grund gibt. Es ist eine reine Ideologiefrage.

Auch nicht schlechter als Wagners Ring (aber die Songs sind kürzer).

 Man sollte also meinen, die Unterscheidung zwischen Amateur- und Nichtamateurfilmen sei eine Erfindung der Erfolgreichen der Branche, um sich den Pöbel vom Hals zu halten, der es wagt, sich die Produktionsmittel der Filmindustrie anzueignen. Nichtsdestotrotz ist das Indigo laut eigener Definition ein Festival für Amateurfilme, und es gibt genügend Filmemacher, die sich selbst Amateurfilmemacher nennen. Das sind ja nicht alles Idioten, die nicht kapiert haben, in welche Klassenkampf-Falle sie da getappt sind, es muss also einen Grund dafür geben, dass sie sich selbstbewusst als Amateure betrachten. Was also sind die objektiven Unterscheidungskriterien, die einen Film zum Amateurfilm machen?

Die Indigo-Festivalleitung hat bezüglich der Filme, die dort dem geneigten Zuschauer gezeigt werden, folgendes Anliegen:

Unser Anliegen ist es, dem geneigten Zuschauer Filme zu zeigen, die abseits vom Mainstream mit überwiegend kleinen Budgets entstehen.

Abseits vom Mainstream und meist für wenig Geld gedreht, das ist eine Definition, die auf zweierlei Weise problematisch ist: zum einen macht sie es schwierig, eine Grenze zwischen Amateur- und Independent-Film zu ziehen. Ist der preisgünstig produzierte und für die Verhältnisse von 1994 völlig gegen den Strich erzählte Independent-Film Pulp Fiction gleichzeitig auch ein Amateurfilm (Man kann schon darüber streiten, ob ein Film mit Starbesetzung und Disney-Vertrieb überhaupt ein Independent-Film ist, aber das gehört nicht hierher)? Zum anderen funktioniert diese Definition nur relativ zum Betrachter, sie ist davon abhängig, was der Einzelne subjektiv unter „Mainstream“ versteht. Das hilft uns also nicht.

Dann vielleicht so: Amateurfilmer betonen oft und gerne, dass bei ihnen der Spaß am Drehen im Vordergrund steht. Das scheint zunächst wie eine denkbare Abgrenzung, Amateurfilmemachen als prozessorientierte Tätigkeit in Kontrast zum Filmemachen als produktorientierte. Ein rein prozessorientierter Film wäre zum Beispiel ein ungeschnittener Urlaubsfilm oder eine Party-Video, bei dem versehentlich den ganzen Abend über eine laufende Kamera auf dem Tisch lag. Alle haben Spaß, der Film entsteht irgendwie nebenbei und ist für alle außer den Beteiligten unerträglich. Zu den rein produktorientierten Filmen gehört das Gesamtwerk von Stanley Kubrick: Alles ist durchgeplant und auf den fertigen Film als Ziel ausgerichtet, alles ist harte Arbeit und alle hassen am Ende des Drehs Stanley Kubrick. Nur: Außer zahllosen Familienvätern auf der einen und Stanley Kubrick auf der anderen Seite macht(e) wahrscheinlich niemand Filme nach den Maßgaben solcher Extreme. Die Wahrheit dürfte bei jedem Film, völlig egal ob Amateurwerk oder nicht, ein ziemlicher Mischmasch irgendwo in der Mitte sein. Anstrengungen bei einem Filmdreh sind überdies subjektive Eindrücke, die abhängig vom Cast- und Crewmitglied variieren können, und die als Unterscheidungsmerkmal entsprechend ungeeignet sind. Ich als Rezipient kann mich ohnehin nur auf den fertigen Film beziehen, ich muss also den ganzen Entstehungsprozess zwangsläufig produktorientiert denken, völlig unabhängig davon, ob ich 2001 – Odyssee im Weltraum vor mir habe oder Attack oft the Tromaggot oder Urlaub in Cala Rajada 1995.

Auch die Etymologie bringt uns nicht weiter: laut Tante Wiki ist ein Amateur jemand, der etwas aus Liebhaberei betreibt, ohne einen Beruf daraus zu machen. Was ist dann mit Indigo-Filmfest-Mitgründer Andreas Eisele, der mittlerweile fürs Fernsehen arbeitet, oder den Gosejohann-Brüdern, die immer wieder als Galionsfiguren des Amateurfilms hochgehalten werden, aber eine eigene Show auf Pro7 haben? Und selbst wenn wir diese Grauzone ausklammern: diese Definition ist eine rein kapitalistische, es ist eine Differenzierung unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten, damit ideologiebelastet und für uns ebenfalls unbrauchbar.

Ich könnte jetzt noch ewig drum herum stochern, aber es hilft ja alles nix, wir müssen uns die Filme ansehen. Fangen wir mal mit dem frühesten mir bekannten Beispiel für einen Amateurfilm an, der von seinen Machern auch als Amateurfilm bezeichnet wird, nämlich mit Hans-Joachim Thunacks Der Einsame der Zeit, laut Promo-Material „Das Filmereignis für Rhodan Fans“ (sic). Diese Verfilmung eines frühen Perry-Rhodan-Abenteuers ist, das muss man dazu sagen, ein Thema für sich: 1964 begonnen, 1969 in einer ersten Fassung aufgeführt, dann von Thunack zurückgezogen und komplett überarbeitet. An der Überarbeitung sitzt er immer noch – auch fast fünfzig Jahre nach Drehstart ist Der Einsame der Zeit nicht fertig (der Regisseur hofft aber auf eine Premiere „spätestens im Jahr 2014“). Von diesem dem Vernehmen nach über drei Stunden langen Mammutprojekt sind bis heute nur ein paar Trailer, Making-Of-Material und ein Promo-Reel verfügbar – das aber läuft eine satte Dreiviertelstunde und dürfte damit einen repräsentativen Eindruck des Films vermitteln.

Wenn jemand den Mund aufmacht, wird’s schlimm, aber die Bauten sind der Hammer. Die Effekte sind mit viel Liebe gebastelt, teilweise durchaus ordentlich und ein paar wenige sind so gut, dass ich erst im Nachhinein geschnallt habe, dass da getrickst wurde. Die Drehorte sind klasse ausgewählt und die 60er-Beton-Ästhetik geht gut mit den einkopierten Raumschiffen, Flugautos und Wasweißich zusammen. Es ist ein Spektakel, was auch durch die Texteinblendungen unterstrichen wird: „Sie sind dabei, wenn Atlan nach Terrania fliegt“ – kommen Sie, staunen sie! Der ganze Sci-Fi-Huihuibumms ist auch nötig, denn der Anspruch ist, eine „werkgetreue Verfilmung“ (Zitat Promo-Reel) zu liefern. Deswegen ist auch jedes noch so kleine Schalterdrücken detailliert zu sehen, und deswegen diskutieren Fans und Macher in den Youtube-Kommentaren darüber, ob im Film die Untergebenen von Perry Rhodan beim Grüßen das Protokoll einhalten:

Lesen Sie die Vorlage! Verstehen Sie den Film! (Quelle: perry-rhodan.net)

Keiner redet von der Story. Obwohl ich eine Dreiviertelstunde des Films gesehen habe, habe ich als Rhodan-Unkundiger keine Ahnung, wovon Der Einsame der Zeit überhaupt handelt. Auch auf der Homepage gibt es keine Zusammenfassung. Es ging also offenbar nicht darum, eine Perry-Rhodan-Geschichte nachzuerzählen, sondern um die Bebilderung des Rhodan-Universums, die im Promo-Reel im Vordergrund steht. Wozu sich auch mit der Geschichte aufhalten? Die findet sich ja schon im entsprechenden Groschenheft und ist den Adressaten („Von Fans, für Fans“) sowieso bekannt. Was gefehlt hat, war die Visualisierung.

Was hier passiert ist, ist symptomatisch für die Funktion, die der Amateurfilm später immer wieder einnimmt: er sublimiert einen von einem meist sehr kleinen Kreis von Menschen subjektiv empfundenen Missstand. Alle anderen Elemente des Mediums (Handlung, Schauspieler, Kamera, Schnitt, etc.) spielen dabei keine Rolle. Der Amateurfilm nach dieser Definition benötigt gleichzeitig mehr und weniger Kontext als andere Filme: mehr Kontext, weil er nicht für sich stehen kann. Seine Qualitäten offenbaren sich nur demjenigen, der die Codes der Zielgruppe kennt, für die er gedreht wurde. Weniger Kontext, weil er in viel geringerem Maße auf die Techniken und Erzählkonventionen des Kinos angewiesen ist, um von seinen Adressaten verstanden zu werden. Das ist eine Definition, die längst nicht alle Spielarten des Amateurfilms, wohl aber den Löwenanteil der produzierten Amateurfilme abdeckt, zumindest wenn man Besprechungen in Magazinen wie Splatting Image oder das Angebot einschlägiger DVD-Labels und Online-Shops als Querschnitt heranzieht, und insbesondere wenn wir uns den Splatterkram ansehen, der den deutschen Amateurfilm seit Jahrzehnten prägt.

Aber mit dem beschäftigen wir uns morgen.




Ein Kommentar

1) Peroy

12. Oktober 2013, 11:35

Ich bin schon ganz hibbelig auf Teil 3…

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