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Wenzel Storchs Jürgen-Höhne-Trilogie, Teil 2

Bereits vor zwei Jahren erschien mit Die Reise ins Glück der aktuellste der drei Wenzel-Storch-Filme auf DVD. Damals hatte ich, wie auch letzte Woche für Sommer der Liebe, eine Rezension für DVD-Heimat geschrieben. Die ist insofern inzwischen eigentlich überflüssig, als dass die DVD momentan nur zu Mondpreisen erhältlich ist – jemand, der theoretisch bereit ist, hundert Euro für einen Film auszugeben, wird das sicher nicht von einer Besprechung des Bonusmaterials abhängig machen. Die als edles Digipack aufgemachte Scheibe soll zwar dieses Jahr noch für akzeptables Geld in einer – vermutlich abgespeckten – Neuauflage in den regulären Handel kommen (und es existiert sogar bereits eine Single-DVD-Version in normaler Plastikhülle, die als Pressemuster diente und eventuell auch in den Videotheken stand), aber erfahrungsgemäß sind alle Zeitangaben aus Wenzels Umfeld mit Vorsicht zu genießen. Echte Künstler lassen sich halt nicht hetzen. Aus eben diesem Grund gehe ich auch davon aus, dass der dritte und letzte Teil dieses Artikels – die Besprechung zum noch ausstehenden Release von Der Glanz dieser Tage – möglicherweise noch ein ganz kleines bisschen auf sich warten lassen könnte. So grob ein bis zwei Jahre. Hier erst mal Teil 2:

Die Reise ins Glück

Unglaubliche zwölf Jahre dauerte die Produktion von Die Reise ins Glück. Nach der Erstaufführung 2004 vergingen wiederum fast fünf Jahre Produktionszeit für die DVD, mit der nun endlich Wenzel Storchs dritter Kinofilm für den heimischen Player vorliegt; macht summa summarum siebzehn Jahre von den Anfängen bis zum vorläufigen Ende der Verwertungskette. In vielen der zeitgenössischen Besprechungen anlässlich des Kinostarts war der Produktionsprozess folglich ebenso Spektakel wie das eigentliche Spektakel, der Film – verständlich, erscheint es angesichts eines solchen ganzen Lebensabschnitts doch beinahe unangemessen, den Film losgelöst von seiner Entstehungsgeschichte zu betrachten. Unter Storchs Spielleitung bastelte eine Horde von Freiwilligen über die Jahren hinweg unter großen persönlichen Opfern aus gestohlenem Schrott tonnenschwere Kulissen zusammen für ein Märchen, in dem genüsslich auf Kinder uriniert wird und sich unter aphrodisierenden Drogen stehende Tiere in Zeitmaschinen verwandeln. Das kommerzielle Ergebnis war, wie zu erwarten, vernichtend, und selbst unter den nur etwa 5000 Zuschauern (*), die es ins Kino zog, herrschte alles andere als einhellige Begeisterung.

Der Film erzählt die Geschichte von Käpt’n Gustav, der zusammen mit seiner Frau Eva, den gemeinsamen Kindern und seiner Besatzung (bestehend aus einer ganzen Tier-Menagerie) die sieben Weltmeere bereist. Als sich Gustav zur Ruhe setzen will, läuft man eine Insel an, die, wie sich herausstellt vom bösen König Knuffi beherrscht wird. Knuffi (der Gustav einst in Freundschaft verbunden war, bis sich beide in Eva verliebten) entführt Gustavs Familie, der daraufhin eine Rettungsaktion startet.

Dieser Versuch einer Zusammenfassung ist eher eine ordnende Interpretation der Ereignisse. Waren Wenzel Storchs vorangegangene Filme Der Glanz dieser Tage und Sommer der Liebe noch in lose miteinander verbundenen Episoden angelegt, so versucht sich der Regie-Autodidakt in seinem dritten Film an einer durchgängigen Geschichte, die durch unvermittelte Sprünge und konfuse Dramaturgie allerdings trotzdem meilenweit an den Sehgewohnheiten eines Durchschnittszuschauers vorbeiläuft. Überspielt werden die zahlreichen Brüche in der Handlung mit einer Erzählerstimme, die launig durch den Film führt. Auch handwerklich kann der Film seine Herkunft aus dem Amateurlager nicht verleugnen: Weder überzeugt die delirierend schlingernde Kamera, noch sind die gelegentlichen Stop-Motion-Trickszenen technische Meisterleistungen. Die Qualitäten des Films liegen anderswo: Kulissen, Kostüme und Requisiten sind derartig phantastisch und überbordend gestaltet, so vollgestellt und überladen mit Details, dass man sich unmöglich daran satt sehen kann. Zusammen mit der ständig ertönenden psychedelischen Kirmesmusik und den seltsamen Schlenkern des Drehbuchs stellt sich eine surreale Atmosphäre ein, die in der Filmgeschichte ihresgleichen sucht und Die Reise ins Glück zu einem bemerkenswerten Stück Individualkunst macht.

Bildqualität

Das Bild liegt im korrekten Format von 1:1,67 und damit gezwungenermaßen nicht anamorph vor. Der Zustand des Ausgangsmaterials ist bedauerlich. Deutlich sichtbare Überblendzeichen und Kratzer begleiten jeden Aktwechsel, während des ganzen Films zeigen sich vereinzelt Verschmutzungen. Die Gründe dafür sind rätselhaft – die DVD-Produzenten sind im Besitz des Negativs, und auch das begrenzte Budget taugt nicht als Erklärung, da eine rudimentäre Restauration heutzutage selbst für Heimanwender mit handelsüblicher Bildbearbeitungssoftware umsetzbar ist. Angesichts auch der Zeit, die bis zum Erscheinen der DVD verstrichen ist, ist dieser Umstand enttäuschend. Davon abgesehen entspricht die Bildqualität, auch mit ihren gelegentlichen Schwierigkeiten hinsichtlich Schärfe und Schwarzwert, der Kinoversion. Vor allem die satten Farben wissen zu gefallen.

Tonqualität

Der Ton ist sowohl in 2.0 als auch in 5.1 Stereo vorhanden. Die Tonspuren haben, anders als das Bildmaterial, nicht mit Limitierungen zu kämpfen und liefern eine saubere Vorstellung. Qualitative Unterschiede zur Kinoversion lassen sich nicht ausmachen.

Extras

Auf der Bonus-DVD legen fünf Beiträge mit unterschiedlichen Schwerpunkten und einer Gesamtlänge von fast vier Stunden die immerhin ähnlich epische Entstehungsgeschichte des Films sehr kurzweilig, erschöpfend und mit bemerkenswerter Offenheit dar. Die wahnwitzige Geschichte der Produktion lässt den Betrachter streckenweise entgeistert zurück. Da erzählt die Crew freimütig, wie Kulissen derartig mit Zierrat vollgestopft wurden, dass man nach ihrer Vollendung feststellen musste, dass kein Platz mehr für eine Kamera war, weswegen die entsprechenden Bauten dann nicht genutzt wurden. Ganze Stop-Motion-Animationssequenzen wurden vorbereitet, nur um dann im letzten Moment gekippt zu werden.

Es drängt sich während der vier Stunden der Verdacht auf, dass die insgesamt zwölf Jahre Produktionszeit weniger dem knappen Budget als vielmehr der unkoordinierten und fahrigen, teilweise stümperhaften Herangehensweise an das Projekt geschuldet sind, dokumentiert in mitunter fassungslos stimmenden Anekdoten, in denen zum Beispiel Filmmusiker Iko Schütte für die Aufnahme des Titelsongs den Sänger Max Raabe in Berlin besucht, aber vergisst, ein Mikrophon mitzunehmen. Gleichzeitig zeigt die Dokumentation die Entstehung des Films als einen organischen Prozess, dessen Verlauf von eben solchen Unzulänglichkeiten ebenso gelenkt wurde wie von Wenzel Storch, dessen Entscheidungen zwar sehr konkret, aber nicht immer logisch begründbar sind.

Das Bonusmaterial entlässt den Zuschauer mit Respekt für die bemerkenswerte Leistung aller Beteiligten, etwas Derartiges außerhalb eines etablierten Produktionssystems umzusetzen, und dem Eindruck, dass das daraus resultierende Chaos unabdingbar war, damit am Ende ein Film wie Die Reise ins Glück entstehen konnte.

Trotz der umfangreichen Dokumentationen lässt einen das Bonusmaterial nicht vollends befriedigt zurück. Gerade bei einem Film, der in vielerlei Hinsicht keiner allgemeinen Logik, sondern nur der seines Regisseurs gehorcht, hätte ein Audiokommentar erhellend sein können. Weiterhin wünschenswert wäre gewesen, die durchaus zahlreichen geschnittenen Szenen, die zum Teil in die einzelnen Dokumentationen einmontiert sind, als einzelnes Extra abrufen zu können. Zu einem anderen Film machen sie Die Reise ins Glück zwar nicht, als nicht minder psychedelische Apokryphen allerdings haben sie einen hohen Unterhaltungswert. Angesichts der sonstigen Ausstattung der Edition sind diese Kritikpunkte allerdings Marginalien.

Neben Trailern zum restlichen Programm des Labels sind solche zu den beiden anderen Storch-Filmen Der Glanz dieser Tage und Sommer der Liebe genauso vorhanden wie Trailer zu den Making Ofs dieser beiden Filme (!), während der durchaus existierende Trailer zu Die Reise ins Glück fehlt.

Das Bild des Bonusmaterials ist teils in ähnlich haarsträubendem Zustand wie das des Hauptfilms. Während aktuelle Interviews einwandfrei aussehen, deutet das Videomaterial aus der Zeit der Dreharbeiten auf eine eher fahrlässige Lagerung hin. Einige der Sprecher sind untertitelt, da man offenbar der Meinung war, die Stimmen seien (entweder akustisch oder aufgrund von Sprachfehlern oder Dialekten) für den Zuschauer nicht verständlich.

Das vom Vertrieb als „fett“ beworbene Booklet der Kaufversion lag dem zur Verfügung gestellten Presseexemplar nicht bei.

Fazit

Die Reise ins Glück ist ein psychedelisches Märchen, das die Logik einer klassischen Dramaturgie über Bord wirft zugunsten einer nach assoziativen Gesichtspunkten aufgebauten Erzählung. Handwerkliche Unzulänglichkeiten werden dabei mehr als ausgeglichen durch kruden Humor und eine ihresgleichen suchende, verschwenderische Ausstattung. Die technische Umsetzung der DVD ist nicht ideal, das sehr umfangreiche Bonusmaterial tröstet darüber aber hinweg.

Originaltitel Die Reise ins Glück (D 2004)
Länge 71 Minuten
Studio Cinema Surreal
Regie Wenzel Storch
Darsteller Jürgen Höhne, Holger Müller, Jasmin Harnau, Harry Rowohlt, Horst Tomayer, Friedrich Schoenfelder
Format 1:1,67 (4:3)
Ton Dolby 5.1 & 2.0 Deutsch
Untertitel
Extras Fünf Dokumentationen mit fast vier Stunden Gesamtlänge, diverse Trailer
Preis (mittlerweile) 100 EUR (ausschließlich erhältlich im Webshop von Cinema Surreal)

*) Nachtrag

Spielleiter Wenzel Storch höchstselbst hat mich darauf hingewiesen, dass der Film nicht 5.000, sondern mittlerweile insgesamt über 16.000 Zuschauer in Deutschland gezogen hat. Dazu kommen noch um die 10.000 Zuschauer im Ausland, die das Werk mehrheitlich auf Festivals begutachteten. Die 5.000 Zuschauer hatte ich aus den Kinocharts einer Ausgabe des Branchenblattes Filmecho/Filmwoche, zu einem Zeitpunkt, als der Film noch großflächiger in den Kinos lief. Laut Wenzel ist Die Reise ins Glück damit immer noch „kommerziell eindeutig ein Flop“, aber erfreulicherweise letztendlich deutlich besser gelaufen, als es den Anschein hatte. (zurück)



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2 Kommentare

1) Gregor

9. März 2011, 17:30

„Echte Künstler lassen sich halt nicht hetzen.“
Das kommt mir irgendwie bekannt vor …

Ich weiss noch, wie ich vor Urzeiten einen Artikel über den Film in der „Geo“ las – die Bilder der überbordenden Ausstattung haben mich fasziniert. Und als der Streifen letztes Jahr am BM-FT lief (Spaulding hatte grosse Mühe auf sich genommen, den Film zu organisieren), war ich begeistert – fast noch schöner waren aber die entsetzten Reaktionen der ganzen Möchtegern-Trashologen, hähä.

2) spaulding

11. März 2011, 19:19

Hi Lukas,

es waren sogar 20 Kinobesucher mehr, da letztes Jahr auf unserem Ordensbruders BM-FT in Nürnberg „Die Reise“ genossen werden durfte aufgrund einer großzügigen und warmherzigen Spende von meiner Klammheit. Auf die nicht repräsentativen Publikumsreaktionen will ich nicht weiter eingehen, wobei da auch differenzierte Statements zu hören waren. Für mich ist Wenzels Opus Magnum immer noch die Wucht. *thumbs up*

So long,

der Webmeister

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