Ein virtueller Vergnügungspark mit Cartoons, Comics, altem Spielzeug, Genrefilmen und Texten über pixelige Videospiele, und über Verrückte.

Superchristen (Teil 1)

Neon Genesis Evangelion – Man beachte die liebevoll aufgetupften Wundmale.

Man mag darüber diskutieren können, wofür wir die Kirche im 21. Jahrhundert eigentlich noch benötigen. Kreuzzüge ins Heilige Land unternimmt sie schon seit Jahren keine mehr, statt Weihrauchduft tut’s auch Marihuana, man kann sogar ohne Priesterweihe Kinder missbrauchen. Unsere beiden Amtskirchen sind längst nicht mehr auf dem Niveau, das noch durch die Inquisition vorgelegt wurde, und so fühlen sich vielerortens die Gläubigen wie Prostituierte, die von ihrem Zuhälter nicht mehr angemessen Prügel beziehen. Die meisten sind damit eigentlich ganz zufrieden, weil sie nun endlich ungestört ihr Hurenwerk verrichten und eventuell hinterher noch Schuhe kaufen gehen können, ein paar allerdings trauern den Zeiten nach, als man sie noch jeden Abend aus purer Gewohnheit zu Klump schlug, und diese etwas spezielleren Gläubigen wenden sich nun enttäuscht von der verlotterten Institution ab, um flugs ihre eigenen, wunderprallen Vorzeigegemeinden zu gründen. Nun ist es so, dass es von dieser Sorte Mensch zwar ausreichend viel gibt, um hier und dort die Hinterzimmer zu füllen, man muss die Maso-Schäfchen aber erst mal einsammeln, und deshalb gehören christliche Fanatiker zu den aktivsten Produzenten der durchgeknallten Druckerzeugnisse, die man in deutschen Fußgängerzonen so in die Hand gedrückt bekommt. Mir zumindest werden ohne Unterlass Bibeln, Bibel-Interpretationen oder zumindest Bibel-Gutscheine überreicht, und nachdem ich in diesem Sommer während eines grade mal dreißigminütigen Besuchs der Essener Innenstadt gleich einer Dreifaltigkeit dieser Gruppierungen begegnet bin, sehe ich das als ein untrüglich göttliches Zeichen – Die wollen unbedingt, dass man sich mit ihnen beschäftigt, also tue ich ihnen den Gefallen. Auf geht’s:

Schwarzer Stern über Bethlehem

Unabhängig seit 1957: Ghana.

Zunächst mal saß ich auf der Hinfahrt zu meinem Essener Innenstadteinkaufsbummel im Zug auf einem Vierer-Sitz, zusammen mit drei Jungs, so Anfang bis Mitte Zwanzig, die hinsichtlich Haut- und Fußballtrikotfarben (es war grade Fußball-WM) offensichtlich ihre Wurzeln in Ghana hatten. Die drei schienen als einziges Thema die Bibel zu kennen und warfen sich begeistert immer wieder gegenseitig Sätze an den Kopf wie „Weißt du, Jesus ist für unsere Sünden gestorben!“ Man stelle sich zwei Beatles-Fans vor, die sich auf dieselbe Weise unterhalten:

„Weißt du, John und George spielen Gitarre!“ „Ja, und Paul und Ringo Bass, bzw. Schlagzeug!“

Und Ghana tanzt: Die Beatles für Schwarze.

Na, das sind ja mal Neuigkeiten! Die Jungs waren Deutsche, oder sprachen zumindest perfektes, akzentfreies Deutsch, wechselten auffälligerweise aber immer dann zu Englisch, wenn ihre geäußerten Ansichten etwas fragwürdig wurden, wenn es zum Beispiel darum ging, dass die Frau dem Mann Untertan sein soll wie der Mann wiederum Jesus Christus zu gehorchen habe. Andererseits sahen sie offenbar allgemeinen Konsens in der Außenpolitik, denn das hier kam auf Deutsch:

„Ich glaube ja, dass Amerika das Reich des Satans ist. Schau mal, alles Schlechte… alles Böse in der Welt, das kommt aus Amerika.“

Schön, wenn man sich die den eigenen Verstand überfordernde Realität auf ein paar hysterische, aber einfach zu begreifende Grundregeln herunterbrechen kann. Irgendwann blieben sie thematisch beim Sündenfall kleben, und dass der ja eine Rebellion gegen Gott gewesen sei. Einer der drei lächelte verständnislos und schüttelte den Kopf:

„Ich verstehe ja nicht… (*nach Worten ring*) …wieso überhaupt gegen irgendwas rebellieren? Wofür soll denn das gut sein?“

Ja, wofür eigentlich? Vielleicht fragt ihr drei einfach mal eure Großeltern.

In Essen stieg ich aus dem Zug, aber beim Aufstehen sah ich noch einen Flyer in der Hand des milde irritierten Revolutionsgegners. Und zwar den hier:

Den habe ich dem Kerl nicht aus der Hand gerissen, und ich habe ihn auch nicht von ihm geschenkt bekommen. Diesen exakt gleichen Flyer habe ich mal in der U-Bahn gefunden, und zwar anno 2003. Soweit ich das überblicken konnte, haben die Urheber den Wisch in all den Jahren nicht mal in Details weiterentwickelt, aber wenn man einmal die ultimative, endgültige Wahrheit gefunden hat, gibt es für Veränderungen ja schließlich auch keinen Grund mehr.

Nur zwei davon sind übrigens „echte“ Django-Filme (in dem Sinn, dass die Titelfigur auch in der Originalfassung tatsächlich Django heißt) und nur einer (allerdings ein anderer) hat den originalen Django (Franco Nero) in der Hauptrolle.

Straßenmission Impossible

Das straßenmissionarische Rundum-Sorglos-Paket.

Die nächste Begegnung dieses Tages gab es dann in der Innenstadt, als ich an der Ampel neben einem Mütterchen mit Kopftuch und müllsackförmigem Kleid wartete. Die Omma hielt ein großes Schild mit der Aufschrift „Jesus rettet“ hoch und drückte mir gleich ein ganzes Broschüren-Paket in die Hand, weswegen ich so freundlich bin, ihrer Organisation – es handelt sich um die Straßenmission („Wir sind Christen und gehören keiner Sekte an.“) – nun auch den größeren Teil dieses Texts zu widmen.

Da hätten wir zunächst einen kleinen Bibel-Leseplan, der jedem Tag des Jahres einen Abschnitt der Bibel zuteilt, und zwar so richtig schön stur – an Heiligabend gibt es keinesfalls die Weihnachtsgeschichte aus dem Evangelium nach Lukas zu lesen, sondern was von den sieben Schalen des Zorns, denn am Ende des Jahres sind wir natürlich auch am Ende der Bibel angekommen, und damit mitten in der Offenbarung des Johannes. Lesefreudige Christen also, die sich angesichts einer Jahreszeit, wie sie düsterer und deprimierender nicht sein könnte, Trost aus ihrem metaphysischen Parteibuch erhoffen, bekommen nach diesem Leseplan wochenlang die Apokalypse um die Ohren gehauen, was zwar nicht sonderlich einfühlsam, aber zweifellos schneidig konsequent und irgendwie ja auch lustig ist.

Für alle Eventualitäten gewappnet: Der Bibel-Leseplan.

Als nächstes gibt’s ein Faltblatt, das hauptsächlich fungiert als eine Sünden-Checkliste, anhand der man überprüfen kann, ob man schon reif für die Hölle ist (Spoiler: Ja. Doch, doch, ich war genauso überrascht wie ihr). Das ist, den Verfassern zufolge, nicht ganz unwichtig, denn:

Von knapp 82 Millionen Deutschen sterben jedes Jahr um die 5.000 durch Verkehrsunfälle, die Trefferquote beträgt damit moderate 16.400:1. Ich für meinen Teil lebe so einigermaßen gesund, der plötzliche Herzklaps wird mich also kaum erwischen, jedenfalls nicht in den nächsten 30 Jahren. Natürlich ist es rein rechnerisch möglich, dass ich schon vorher ausscheide, aber es ist, Straßenmission, so unwahrscheinlich, dass es müßig ist, darüber nachzudenken, es sei denn natürlich, man möchte in ständiger Panik und Hypochondrie leben. Wer dann noch handlungsfähig bleiben möchte, muss diese Ängste irgendwie sublimieren und kommt dann eventuell auf die ja nicht unbedingt naheliegende Idee, ohne Sinn und Verstand die Bibel durchzuackern (was, sofern man das zuhause tut, aber zumindest das Risiko eines Verkehrsunfalls denkbar minimiert).

Da das für die meisten Leute nicht zur Debatte steht, weil sie ganz gerne an die frische Luft gehen und dabei billigend in Kauf nehmen, wahrscheinlich durch ungebremste Tanklaster, spontanes Organversagen oder Meteoriteneinschläge aus dem Leben zu treten (wohlgemerkt ohne sich vorher von Straßenmissionaren retten zu lassen), kommen wir zur erwähnten Auflistung von allem, was uns die Straße zur Hölle pflastert, von mir arrangiert zu einem heiteren Spiel zum Ankreuzigen:

Falls ich nicht irgendwas vergessen habe: 17 Treffer, drei mal Bingo. Wer bietet mehr?

Wo wir schon bei der Hölle sind (und im Rahmen dieses Artikels kommen wir da auch so schnell nicht mehr weg), auf dem zweiten, doppelseitigen Zettel präsentieren uns die Straßenmissionare abschreckenderweise die Hölle auf Erden, zumindest die Layout-Hölle:

Mehr dazu im zweiten Teil.



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13 Kommentare

1) manhunter

5. November 2010, 18:52

Der „Wer ist Django?“-Zettel ist grossartig.
11 Treffer übrigens, einmal Bingo. Wär ich doch ein herumhurender Homosexuellen-Astrologe wie du!

2) Peroy

5. November 2010, 20:11

12 Treffer, ein Bingo.

3) spaulding

2. Dezember 2010, 00:25

15 Treffer und 3 Bingo. Ja, ich hab‘ einiges auf dem Kerbholz.

4) Peroy

8. Dezember 2010, 18:49

Ihr macht bestimmt alle Yoga…

5) Marcus

30. Dezember 2010, 23:35

„Nur zwei davon sind übrigens „echte“ Django-Filme (in dem Sinn, dass die Titelfigur auch in der Originalfassung tatsächlich Django heißt)“

WELCHE?????????????

6) Marcus

30. Dezember 2010, 23:40

Ach ja. Zehn Treffer, kein Bingo. I suck…. 🙁

7) Lukas

31. Dezember 2010, 00:46

@Marcus:
Direkt die ersten beiden: „Django – Dein Henker wartet“ (im Original „Non aspettare Django, spara“) und „Django – Nur der Colt war sein Freund“ („Django spara per primo“).

8) Marcus

31. Dezember 2010, 18:47

@Lukas: danke. Eigentlich mag ich den Spaghettiwestern-Kram ja, aber es ist das einzige Genre, beim dem ich die Titel ums Verrecken nicht auseinanderhalten kann.

Naja, wenn aber auch jeder Film immer drei Titel hat, die alle auf irgendsowas wie „Django – Die Geier kacken für eine Handvoll Blei auf seinen Sarg“ hinauslaufen. 😀

9) comicfreak

1. Januar 2011, 20:47

..7 Treffer, aber wann was Bingo ist, entzieht sich meiner Kenntnis..

10) Marcus

2. Januar 2011, 00:24

@comicfreak: na wenn du eine Reihe quer oder runter voll hast, Mensch!

11) Lukas

2. Januar 2011, 00:53

…und die beiden Diagonalen zählen natürlich auch.

12) comicfreak

3. Januar 2011, 23:39

@ Marcus, Lukas
..danke, ich sollte vielleicht mal was anderes spielen als „Pflanzen gegen Zombies“

Schade, kein Bingo.

13) Errror42

7. Mai 2014, 23:18

10 Treffer, 1 Bingo
Und ich bin erst 14 😀

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